Weißer Fluch: Band 1 (German Edition)
Einkaufszentrum steht eine Frau mit einer Tonne voll pastellfarbener Körbchen, während ein Mann versucht, einen Stapel Kaninchenfelle zu verhökern. Drei Stück für fünf Dollar.
Drinnen knurrt mein Magen, weil es nach Frittiertem duftet. Ich strebe weiter nach hinten, vorbei an dem Stand mit Brieftaschen aus Aalhaut und dem Angebot von schweren Silberringen und Zinndrachen, zu den Wahrsagerinnen mit den Samtröcken und gezinkten Karten. Sie verlangen fünf Dollar dafür, dass sie sagen: » Sie fühlen sich manchmal einsam, sogar in Gesellschaft «, oder: » Sie haben ein schreckliches Unglück erlebt, deshalb haben Sie ein außergewöhnliches Wahrnehmungsvermögen «, bis hin zu: » Normalerweise sind Sie ja schüchtern, aber in naher Zukunft werden Sie im Rampenlicht stehen. «
Es gibt viele kleine Einkaufszentren wie diese in Jersey, aber dies hier liegt nur zwanzig Minuten von Carney entfernt. Das eigentliche Geschäft der Wahrsagerinnen besteht in dem Verkauf von Amuletten, die von pensionierten Ortsansässigen angefertigt werden; sogar einige Fluchwerker bieten hier ihre Dienste an. Dies ist der geeignete Ort, wenn man einen billigen kleinen Fluch braucht, der nicht direkt mit den Gangster-Clans in Zusammenhang steht. Außerdem sind die Amulette verlässlicher und variantenreicher als jene, die man in einem normalen Einkaufszentrum oder an der Tankstelle bekommt.
Ich trete an einen Stand, der mit Schals ausgelegt ist. » Crooked Annie « , sage ich, und die alte Frau lächelt. Ein Schneidezahn ist verfault und schwarz. Sie trägt Plastik- und Glasringe über ihren lilafarbenen Handschuhen und hat mehrere Kleider mit winzigen Glöckchen am Saum übereinandergezogen.
» Ich kenne dich, du bist Cassel Sharpe. Wie geht es deiner Mutter? «
Annie hat schon Magie verkauft, als ich noch nicht geboren war. Sie ist noch von der alten Schule und diskret. Und bei dem bisschen, was ich weiß, bin ich mir zumindest darüber im Klaren, dass ich es mit niemandem teilen will.
» Sie sitzt. Wurde geschnappt, als sie einen reichen Typen bearbeitete. «
Annie seufzt. Da sie selbst auf der anderen Seite des Gesetzes lebt, ist sie weder überrascht noch peinlich berührt, wie die Leute in der Schule es gewesen wären. Sie verschiebt ihr Gewicht nach vorne. » Kommt sie bald wieder raus? «
Ich nicke, obwohl ich es gar nicht genau weiß. Mom beteuert immer wieder ihre Unschuld (an die ich nicht glaube) und dass ihre Verurteilung au f V orurteilen und unhaltbaren Beweisen beruhe (was ich einigermaßen glaube) und der Prozess gelaufen wäre, wenn ihr endlich das Berufungsverfahren gewährt wird, auf das sie so drängt. » Du vermisst deine Mutter, nicht wahr? «
Ich nicke wieder, obwohl ich mir da genauso unsicher bin. Es ist einfacher, wenn sie aus dem Weg ist und unser Leben nicht spontan umwälzen kann. Vom Gefängnis aus wirkt sie wie eine wohlwollende, leicht spleenige Matriarchin. Zu Hause würde sie wieder alles an sich reißen.
» Ich möchte ein paar Amulette kaufen. Für das Gedächtnis. Sie müssen gut sein. «
» Wie bitte? Glaubst du etwa, ich würde schlechte Ware verkaufen? «
Ich lächele. » Das weiß ich sogar. «
Jetzt wird ihr Grinsen boshaft. Sie tätschelt mit ihrem Satinhandschuh mein Gesicht. Ich habe mich nicht rasiert, und meine Wangen sind wahrscheinlich so rau, dass der Stoff Fäden zieht, aber das ist ihr anscheinend egal. » Genau wie deine Brüder. Wisst ihr, was man früher über Jungs wie euch gesagt hat? Schlau wie der Teufel und doppelt so hübsch. «
Was für ein lächerliches Kompliment, aber ich senke verlegen den Blick. » Außerdem habe ich ein paar Fragen. Zur Gedächtnismagie. Also, ich weiß, ich bin kein Fluchwerker, aber ich muss es wirklich wissen. «
Annie schiebt ein abgenutztes Tarotspiel beiseite. » Setz dich « , sagt sie, kramt unter dem Tisch und holt einen großen Werkzeugkasten aus Plastik hervor, in dem sie eine Sammlung aus Steinen aufbewahrt. Sie greift nach einem glänzenden Onyx mit einem Loch in der Mitte und einem Brocken trüben pinkfarbenen Kristalls. » Zuerst das Wichtigste. Das sind die Amulettsteine, die du brauchst. «
Die meisten Amulette, die richtig gut sind, sehen nach nichts aus. Dafür sind diese gar nicht so übel.
» Ich wage kaum zu fragen « , sage ich und lehne mich in dem harten Klappstuhl zurück. » Aber– «
» Willst du was Hübscheres? «
Ich schüttele den Kopf. » Nur was Kleineres. «
Sie murmelt vor sich hin und prüft
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