Weißer Fluch: Band 1 (German Edition)

ihren Vorrat. » Hier, wie wär’s mit diesem? « Sie hält ein Steinchen hoch, das auch aus einer x-beliebigen Einfahrt stammen könnte.
    » Ich nehme die beiden « , sage ich und zeige auf den Kiesel und den runden Onyx. » Beziehungsweise, gib mir bitte drei von den kleinen, wenn du so viele hast. Und den Onyx dazu. «
    Annie hebt die Augenbrauen, sagt aber nur: » Vierzig. Pro Stein. «
    Normalerweise würde ich mit ihr handeln, aber wahrscheinlich macht sie es teuer, um vor sich selbst rechtfertigen zu können, was sie mir gleich verraten wird. Ich zücke die Geldscheine und schiebe sie rüber.
    Sie zeigt grinsend ihre schwarzen Zähne. » Was willst du denn wissen? «
    » Woran merkt man, ob die eigenen Erinnerungen verändert wurden? Hat man einfach ein schwarzes Loch in seinen Gedanken? Können Erinnerungen durch andere ersetzt werden? «
    Sie zündet sich eine selbst gedrehte Zigarette an, die nach Grünteeblättern stinkt. » Wenn ich diese Frage beantworte, heißt das nicht, dass ich so jemanden kenne. Das sind nur Mutmaßungen, verstanden? Ich bastele hier nur ein paar von diesen Amuletten und verkaufe welche von meinen Freunden. Bisher hat es die Regierung nicht geschafft, das auch noch zu verbieten. «
    » Ich weiß « , antworte ich beleidigt. » Nur weil ich kein– «
    » Reg dich nicht auf. Diese Erklärung war nicht für dich, sondern zur Erbauung aller, die zufällig unser Gespräch belauschen. Das tun sie nämlich. «
    » Wer? «
    Sie sieht mich lange an, als wäre ich zurückgeblieben, zieht an ihrer Zigarette und bläst Kräuterrauch in die Luft. » Die Regierung. «
    » Oh « , sage ich. Obwohl ich ziemlich sicher bin, dass sie unter Verfolgungswahn und einem Hauch Demenz leidet, habe ich das dringende Bedürfnis, mich umzugucken.
    » Jetzt zu deinen Fragen. Wie man sich fühlt, hängt davon ab, wer es gemacht hat. Die besten Magier arbeiten nahtlos. Sie entfernen eine Erinnerung und ersetzen sie durch eine andere. Am schlimmsten sind die Pfuscher. Sie bekommen es vielleicht hin, dass du dich daran erinnerst, ihnen Geld zu schulden. Aber wenn dein Portemonnaie leer ist und du dich nicht daran erinnern kannst, etwas ausgegeben zu haben, stellst du unweigerlich Fragen.
    Die meisten Gedächtniswerker liegen in puncto Geschicklichkeit irgendwo in der Mitte. Sie lassen Stückwerk zurück, lose Fäden. Einen blauen Himmel ohne den Rest des Tages. Tiefe Trauer ohne erkennbaren Grund. «
    » Hinweise « , sage ich.
    » Sozusagen. « Sie nimmt wieder einen langen Zug von ihrer Teezigarette. » Es gibt vier verschiedene Erinnerungsflüche. Ein Gedächtniswerker kann dir die Erinnerungen direkt aus dem Kopf reißen und so ein großes Loch hinterlassen wie das, von dem du eben geredet hast. Er kann dir aber auch Erinnerungen an etwas geben, das du nie erlebt hast. Oder er stöbert in deinem Gedächtnis, um etwas herauszufinden. Die letzte Möglichkeit besteht darin, den Zugang zu deinen Erinnerungen zu versperren. «
    » Warum sollte man das tun? Den Zugang versperren, meine ich. « Ich berühre den glatten schwarzen Kreis des Gedächtnissteins und streiche mit meinem behandschuhten Finger darüber.
    » Weil es einfacher ist, den Zugang zu blockieren, als eine Erinnerung vollständig zu entfernen. Das macht die Sache billiger. Eine einzige Erinnerung zu ändern, ist einfacher, als eine neue zu erschaffen. Außerdem ist das Gedächtnis unversehrt, wenn man die Sperre wieder aufhebt, was sich anbietet, wenn man die Angelegenheit rückgängig machen will. «
    Ich nicke, obwohl ich ihr nicht ganz folgen kann.
    » Ein zwielichtiger Gedächtniswerker lässt sich für das Rausreißen einer Erinnerung bezahlen, obwohl er in Wirklichkeit nur den Zugang versperrt hat. Dann kann er hingehen und dem Opfer Geld dafür abknöpfen, dass er die Sperre wieder rausnimmt. Das sind üble Tricks, aber was schert das die Kids? Heutzutage hat niemand mehr Respekt. « Sie sieht mich eindringlich an. » Hat dir deine Familie nie etwas davon erzählt? «
    » Ich bin kein Fluchwerker « , erinnere ich sie, aber die Schamesröte steigt mir ins Gesicht. Ich müsste trotzdem Bescheid wissen; so viel Vertrauen hätte meine Familie schon haben müssen. Dass mir keiner etwas erzählt hat, spricht Bände.
    » Aber dein Bruder– « , sagt Annie.
    » Kann man es rückgängig machen? « Ich unterbreche sie, weil ich im Augenblick überhaupt keine Lust habe, über meine Familie zu reden.
    Ihre Augen glühen; ich muss wegsehen. Dann