Weißer Fluch: Band 1 (German Edition)
wie alt und gebrechlich er ist, worüber ich einfach nur lachen kann, aber mein Gelächter spornt ihn zu Höchstleistungen an. Er hört gar nicht mehr auf zu schreien.
» Ach, halt’s Maul! « , brülle ich zurück und gehe auf mein Zimmer.
Er sagt kein Wort mehr.
Nehmen wir weiter an, die Katze wäre Lila. Nur noch einen Augenblick lang, auch wenn ihr denkt, ich ticke nicht mehr sauber. Nur mal so, um die Dinge klar zu bekommen.
Irgendwer hat sie dazu gemacht.
Und dieser Jemand arbeitet mit meinen Brüdern zusammen.
Und dieser Jemand muss ein Verwandlungswerker sein, was bedeutet, dass er (oder sie) zu den mächtigsten Fluchwerkern in Amerika zählt.
Damit bin ich erledigt. Dagegen komme ich nicht an.
Das Magritte-Poster über mir zeigt den Rücken eines gepflegten Mannes aus dem neunzehnten Jahrhundert, der in den Spiegel über dem Kamin schaut, aber das Spiegelbild zeigt seine gepflegte Frisur von hinten. Als ich das Poster gekauft habe, fand ich es toll, dass man das Gesicht des Mannes nie zu sehen bekommt, aber wenn ich es jetzt so betrachte, bezweifle ich, ob er überhaupt eins hat.
Abends um zehn klingelt mein Handy. Sam ist dran, betrunken, das höre ich.
» Komm her « , drängt er mit schwerer Zunge. » Ich bin auf einer Party. «
» Ich bin müde « , antworte ich. Ich starre seit Stunden auf denselben Riss an meiner Decke. Mir ist nicht danach aufzustehen.
» Los, komm « , sagt er. » Ohne dich wäre ich gar nicht hier. «
Ich wälze mich auf die Seite. » Was meinst du damit? «
» Die Leute lieben mich, seit ich ihr Buchmacher bin. « Er lacht. » Gavin Perry hat mir gerade ein Bier gebracht! Das habe ich alles dir zu verdanken, Mann, und das werde ich dir nie vergessen. Morgen holen wir uns deine Katze zurück und dann– «
» Okay. Wo bist du? « Irgendwie lustig, dass er glaubt, er wäre mir was schuldig, während er mir einen Gefallen nach dem anderen tut. Ich stehe auf.
Und überhaupt, was soll ich noch hier? Ich würde doch nur über Lila grübeln, die als Katze in einem Käfig steckt und sich die Kehle wund schreit. Oder mich durch endloses Abspielen meiner Erinnerungen aufreiben.
Sam gibt mir die Adresse von Zoe Papadopoulos. Da war ich schon mal. Ihre Eltern sind beruflich viel unterwegs, deshalb kann sie oft Party machen.
Großvater ist vor dem Fernseher eingeschlafen. In den Nachrichten spricht Gouverneur Patton, ein mächtiger Befürworter der Gesetzesvorlage zwei. Demnach sollen alle Bürger den Test absolvieren, der nachweist, wer Fluchwerker ist und wer nicht. Patton erklärt ausführlich, dass er glaubt, auch Fluchwerker sollten sich für diese Vorlage aussprechen. So könnten sie allen beweisen, dass sie, wie behauptet, gesetzestreue Bürger seien. Er sagt, niemand außer den Betroffenen müsse jemals das Testergebnis erfahren. Zurzeit plane er keine weiteren Gesetze, aufgrund derer der Regierung Einsicht in diese privatenmedizinischen Unterlagen gewährt werden könnte. Soso.
Großvater schnarcht.
Ich nehme den Autoschlüssel und verschwinde.
Zoe wohnt in einer Neubausiedlung in Neshanic Station; die Häuser sind über eine Fläche von mehreren Hektar verteilt und grenzen an einen Wald. Das Haus ist riesig, und als ich endlich ankomme, ist die Einfahrt zugeparkt. Die großen Flügeltüren stehen weit offen, und auf der Vorderveranda lacht schallend ein Mädchen, das ich nicht kenne. Sie lehnt an einer dicken, korinthischen Säule und schwenkt eine Flasche Rotwein.
» Was wird denn hier gefeiert? « , frage ich.
» Gefeiert « , wiederholt sie, als würde sie das Wort nicht kennen. Dann zuckt langsam ein Lächeln um ihre Mundwinkel. » Das Leben! «
Ich dagegen bringe nicht mal ein Lächeln zustande. Ich spüre am ganzen Körper, wie sehr ich woanders sein will. Ich möchte ins Tierheim einbrechen. Irgendwas tun. Das Warten ist beim Trickbetrug das Schlimmste, die vielen Stunden, bis es endlich losgeht. Dann zeigen auch die Besten Nerven.
Ich gehe ins Haus und zwinge mich, nicht durchzudrehen.
Die Kerzen im Wohnzimmer sind schon weit heruntergebrannt und das heiße Wachs läuft über die Möbel. Nur ein paar Leute sind hier, die auf dem Fußboden sitzen und Bier trinken. Als ein Zehntklässler, den ich kenne, etwas sagt, sehen sie alle zu mir rüber.
Es hat mich zweieinhalb Jahre gekostet, bis die Leute nicht mehr merkten, was an mir anders war, und dann reicht eine Viertelstunde, um sie daran zu erinnern. Mein erbärmliches Sozialleben wird davon nicht
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