Weißer Fluch: Band 1 (German Edition)
Backsteinvilla im Kolonialstil, liegt nahe der Hauptstraße von Princeton. Hier riecht es nach altem Geldadel, nach dieser bestimmten Ausbildungsschiene, die es der Elite erlaubt, zu bleiben wie sie ist, und nach einschüchternden Privilegien. In so ein Haus bin ich noch nicht mal eingebrochen.
Daneca dagegen geht hinein, als wäre es nichts. Sie lässt ihre Tasche am Eingang fallen und geht durch einen Flur mit alten Stichen vom menschlichen Hirn.
Die Katze miaut leise in ihrem Korb.
» Mom « , ruft Daneca. » Mom! «
Im Esszimmer bleibe ich stehen; eine blauweiße Vase mit leicht verwelkten Blumen steht auf einem polierten Holztisch zwischen silbernen Kerzenleuchtern.
Mir juckt es in den Fingern, die Kerzenhalter in die Tasche zu stecken.
Als ich mich instinktiv umschaue, entdecke ich einen blonden Jungen– er mag zwöl f J ahre alt sein– auf der Treppe. Er beobachtet mich, als wüsste er, dass ich ein Dieb bin.
» Äh, hi « , sage ich. » Du bist bestimmt Danecas Bruder. «
» Verpiss dich « , sagt der Junge und geht die Treppe wieder hoch.
» Hier bin ich « , ruft Danecas Mutter, und ich gehe in Richtung ihrer Stimme. Daneca wartet an der halbgeöffneten Tür zu einem Raum, in dem die Bücherregale bis an die hohe Decke reichen. Mrs Wasserman sitzt auf einem kleinen Sofa.
» Hast du dich verlaufen? « , fragt mich Daneca.
» Das Haus ist riesig « , antworte ich.
» Bring ihn rein « , sagt Mrs Wasserman, und Daneca schiebt mich ins Zimmer. Sie setzt sich auf den Holzstuhl am Schreibtisch ihrer Mutter und bringt ihn mit einer kleinen Bewegung ihrer Zehen in Schwung.
Mir bleibt nichts anderes übrig, als mich auf den Rand einer braunen Lederottomane zu hocken.
» Ich freue mich, Sie kennenzulernen « , sage ich.
» Wirklich? « Mrs Wasserman hat einen Schopf ungebärdiger hellbrauner Locken, den sie offenbar gar nicht erst zu bändigen versucht. Ihre nackten Füße stecken unter einem Plaid, das schön weich aussieht. » Das freut mich. Wie ich hörte, bist du uns gegenüber ein wenig misstrauisch. «
» Ich möchte Sie nicht enttäuschen, aber ich bin kein Fluchwerker « , stelle ich klar. » Deshalb dachte ich, es würde sich um eine Art Missverständnis handeln. «
» Weißt du eigentlich, woher das Wort ›Fluchwerker‹ stammt? « , fragt sie und beugt sich vor, ohne mein Gestammel zu beachten.
» MagischesHandwerk? « , schlage ich vor.
» Es ist viel moderner « , erwidert sie. » Ganz früher bezeichnete man uns als Theurgen, aber vom siebzehnten Jahrhundert bis in die 1930 er-Jahre wurden wir einfach Wundertäter genannt. Der Begriff ›Fluchwerker‹ hat mit den Lagern zu tun. Als das Verbot wirksam wurde, wusste erst mal niemand, wie es eigentlich durchgesetzt werden sollte. Deshalb wurden die Leute in Arbeitslager gesteckt, wo sie ihre strafrechtliche Verfolgung abwarten mussten. Die Regierung nahm sich viel Zeit, bis klar war, wie diese Prozesse zu führen wären. Manche mussten jahrelang warten. Das war die Geburtsstunde der Verbrecherfamilien– in diesen Lagern haben sie ihren Ursprung. Sie heuerten ihre Leute an. Das Verbot schuf das organisierte Verbrechen, wie wir es heute kennen.
In Australien zum Beispiel, wo die Fluchmagie nie verboten wurde, gibt es kein Syndikat, das auch nur annähernd so viel Macht hat wie die Gangsterclans bei uns. In Europa dagegen sind die Familien so fest verwurzelt, dass sie praktisch eine eigene Adelsschicht bilden. «
» Es gibt Leute, die Fluchwerker für königlich halten « , sage ich, weil mir dazu meine Mutter einfällt. » Und in Australien haben sie die Fluchmagie nicht verboten, weil das Land von Fluchmagiern gegründet wurde– oder von Wundertätern oder so–, die in die dortige Strafkolonie verfrachtet wurden. «
» Du kennst dich in Geschichte aus, aber ich möchte dir etwas zeigen. « Mrs Wasserman legt mir einen Stapel mit Schwarz-Weiß-Fotos vor. Männer und Frauen mit abgehackten Händen, die Schüsseln auf dem Kopf tragen. » Das wurde– und wird manchmal heute noch– Fluchwerkern auf der ganzen Welt angetan. Die Leute reden immer darüber, dass Fluchwerker ihre Fähigkeiten missbrauchen und als Königsmacher die wahre Macht hinter den Herrschern darstellen, aber in Wirklichkeit lebten die meisten Fluchwerker in kleinen Dörfern. Bis heute. Und niemand nimmt die Übergriffe gegen sie ernst. «
In diesem Punkt hat sie recht. Die Leute tun sich schwer, Übergriffe ernst zu nehmen, da Fluchwerker doch augenscheinlich
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