Weißer Fluch: Band 1 (German Edition)
frage ich Barron.
Er lächelt. » Moms Berufung ist fast durch. Wir warten eigentlich nur noch auf das Urteil. «
» Mom kommt raus? « Ich nehme ihm das Glas aus der Hand und kippe den Wein auf Ex. Es gehört sich nicht, dass meine erste Reaktion auf diese Nachricht Panik ist. Wenn Mom freigelassen wird, kehrt sie in unser Leben zurück und bringt es durcheinander. Das bedeutet Chaos.
Da fällt mir wieder ein, dass ich dann gar nicht mehr da sein werde. Morgen buche ich auf einem der Schulcomputer eine Zugfahrkarte Richtung Süden.
Barron schaut zu Großvater und wieder zurück zu mir. » Das kommt auf das Urteil an, aber ich bin ziemlich optimistisch. Ich habe mehrere Professoren gefragt, und die behaupten, es wäre gar nicht möglich, dass sie nicht gewinnt. Sie sagen, so einen klaren Fall hätten sie schon lange nicht mehr gesehen. Ich habe im Rahmen eines unabhängigen Forschungsvorhabens an dem Fall gearbeitet, deshalb waren auch meine Professoren beteiligt. «
» Super « , sage ich, aber ich bin nicht bei der Sache. Ich überlege, ob wir uns einen Schlafwagen leisten können.
Großvater schlägt die Augen auf, und mir wird klar, dass er gar nicht weggetreten war. » Red keinen Scheiß, Barron.Dafür ist Cassel zu schlau. Aber eure Mutter kommtraus und wird– so Gott will– froh sein, ein aufgeräumtes Zuhause vorzufinden. Der Junge hat gute Arbeit geleistet. «
Maura steckt den Kopf ins Zimmer. » Oh, da bist du ja « , sagt sie. Sie trägt einen pinkfarbenen Jogginganzug. Über dem Reißverschluss ihrer Kapuzenjacke kann man ihre knochigen Schlüsselbeine erkennen. » Gut. Setzt euch. Ich glaube, wir können gleich essen. «
Barron geht in die Küche, aber als ich ihm folgen will, hält Großvater mich am Arm fest. » Was läuft hier? «
» Was meinst du damit? « , frage ich.
» Ich weiß, dass mit euch Jungs was faul ist, und ich möchte wissen, was. « Ich rieche den Wein in seinem Atem, aber er macht einen völlig klaren Eindruck.
Ich würde es ihm gerne sagen, aber ich kann nicht. Er ist absolut loyal, und ich kann mir kaum vorstellen, dass er sich bei der Entführung der Tochter seines Bosses die Finger schmutzig gemacht hat. Doch mein Mangel an Vorstellungskraft ist kein ausreichender Grund, ihm zu vertrauen.
» Alles okay « , sage ich, verdrehe die Augen und setze mich an den Esstisch.
Maura hat eine weiße Tischdecke aufgelegt und ein paar Klappstühle dazugestellt. Auf dem Tisch stehen die garantiert gestohlenen silbernen Kerzenhalter, die ein Typ namens Onkel Monopoly Philip zur Hochzeit geschenkt hat. Die brennenden Kerzen tauchen alles in ein schöneres Licht, vor allem, weil der Rest der Küche jetzt im Schatten liegt. Neben einer Schüssel mit gebratenen Möhren und Pastinaken steht eine Platte mit Lammbraten. Die Knoblauchscheiben ragen wie Knochensplitter aus dem Fleisch. Großvater spricht dem Wein am heftigsten zu, nicht zuletzt, weil Barron ihm ständig nachschenkt. Aber es bleibt genug für mich übrig, um mich angenehm beschwipst zu fühlen. Sogar das Baby ist gut gelaunt. Es schlägt mit seiner silbernen Rassel an den Plastikteller und schmiert sich Kartoffelbrei ins Gesicht.
Die Teller, von denen wir essen, kommen mir bekannt vor. Auch bei dieser Diebestour habe ich Mom geholfen.
Wenn ich in den Spiegel im Flur schaue, sehe ich uns alle wie in einem Zerrspiegel– die Parodie eines Familientreffens. Seht, wie wir unsere kriminellen Unternehmungen feiern. Seht, wie gut wir uns amüsieren. Seht, wie verlogen wir sind.
Maura serviert gerade den Kaffee, als das Telefon klingelt. Philip steht auf und kommt kurz darauf in die Küche zurück. Er reicht mir das Telefon.
» Mom « , sagt er.
Ich gehe mit dem Telefon ins Wohnzimmer.
» Herzlichen Glückwunsch « , sage ich in den Hörer.
» Du hast dich davor gedrückt, mit mir zu telefonieren. « Mom klingt weniger ärgerlich als belustigt. » Dein Großvater hat gesagt, es ginge dir besser, und Jungen, denen es besser geht, würden ihre Mütter nicht anrufen. Stimmt das? «
» Mir geht’s bestens « , erwidere ich. » Gesünder geht’s nicht. «
» Mmm-hmm. Und du schläfst auch gut? «
» Sogar in meinem eigenen Bett « , antworte ich fröhlich.
» Witzig « , sagt sie. Daran, wie lang sie ausatmet, höre ich, dass sie raucht. » Ein gutes Zeichen, dass du noch Witze machen kannst. «
» Entschuldige « , sage ich. » Ich habe viel um die Ohren. «
» Das hat dein Großvater auch gesagt. Er meinte, du denkst
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