Weißer Fluch: Band 1 (German Edition)
Wagentür.
Einen Augenblick fürchte ich, er könnte sich mir in den Weg stellen. Keine Ahnung, was ich dann mache. Doch er öffnet die Tür und hält sie auf, während ich Großvater auf den Sitz schiebe und anschnalle.
Als ich aus der Einfahrt fahre, werfe ich einen Blick zurück auf Philip, Barron und Maura. Ich bin kolossal erleichtert. Ich bin frei. Ich bin schon fast weg.
Mein Handy reißt mich aus meinen Glücksgefühlen. Großvater rührt sich nicht, obwohl es sehr laut klingelt. Ich habe die Lautstärke voll aufgedreht. Um sicherzugehen, dass er noch atmet, prüfe ich kurz, ob sich sein Brustkorb hebt und senkt. Glück gehabt.
» Hallo? « , frage ich, ohne erst zu gucken, wer mich anruft. Gleichzeitig überlege ich, wo das nächste Krankenhaus ist und ob ich Großvater einliefern soll.
Philip und Barron würden Großvater nicht umbringen, und falls sie es doch vorhätten, würde Philip ihn bestimmt nicht in seiner eigenen Küche vergiften. Und wenn, würde er mich sicherlich nicht überreden wollen, die Leiche in seinem Gästezimmer einzuquartieren.
Das bete ich mir jedenfalls immer wieder vor.
» Hörst du mich? Ich bin’s, Daneca « , flüstert sie. » Und Sam. «
Ich weiß nicht, wie lange sie schon redet. Nach einem Blick auf die Uhr am Armaturenbrett sage ich: » Was ist los? Es ist drei Uhr morgens! «
Sie antwortet, aber ich höre ihr kaum zu. Im Geiste spiele ich alle möglichen Substanzen durch, mit denen man jemanden ausschalten kann. Schlaftabletten fallen mir als Erstes ein. In Verbindung mit Alkohol wirken sie natürlich noch besser.
Erwartungsvolles Schweigen dringt durchs Telefon. » Was? « , frage ich. » Kannst du das noch mal sagen? «
» Ich habe gesagt, deine Katze ist eklig « , wiederholt Daneca gedehnt. Sie ist genervt.
» Geht es ihr gut? Es ist doch nichts mit der Katze, oder? «
Sam fängt an zu lachen. » Der Katze geht es bestens, aber aufDanecas Fußboden liegt eine kleine braune Maus ohne Kopf. Deine Katze hat unserer Maus den Kopf abgerissen. «
» Der Schwanz sieht aus wie ein Stück Schnur « , sagt Daneca.
» Die Maus? « , frage ich. » Die legendäre Maus? Die, auf die alle seit einem halben Jahr wetten? «
» Was passiert, wenn eine Wette von allen verloren wird? « , fragt Sam. » Keiner hat richtig gewettet. Wer zum Teufel bekommt das Geld? «
» Wen interessiert das denn? « , fragt Daneca. » Was soll ich denn jetzt machen? Die Katze starrt mich einfach nur an, und ich glaube, sie hat Blut am Maul. Wenn ich sie anschaue, sehe ich den Tod von Hunderten von Mäusen und Vögeln. Sie stehen Schlange, um über den Teppich ihrer aufgerollten Zunge in ihren Schlund zu marschieren– wie in einem alten Cartoon. Ich glaube, ich bin die Nächste. «
» Du musst sie tätscheln, Mann « , sagt Sam. » Sie hat dir ein Geschenk mitgebracht. Du musst ihr sagen, wie schlau sie ist. «
» Du bist eine süße kleine Mordmaschine « , zwitschert Daneca.
» Was macht sie? « , frage ich.
» Sie schnurrt! « , sagt Daneca entzückt. » Liebes Kätzchen. Wer ist die unglaublichste Mordmaschine? Ganz genau! Das bist du! Du bist ein brutales, grausames Löwilein! Oh ja, das bist du. «
Sam muss so heftig lachen, dass er sich verschluckt. » Geht’s noch? Im Ernst jetzt. «
» Es gefällt ihr « , sagt Daneca.
» Tut mir wirklich leid, dass ausgerechnet ich dir das sagen muss, Mann « , erwidert er, » aber sie versteht kein Wort von dem, was du da von dir gibst. «
» Wer weiß? « , sage ich. » Vielleicht versteht sie es doch. Schließlich schnurrt sie. «
» Ist ja auch egal, Mann. Was ist, behalten wir das Geld? «
» Wenn nicht, müssen wir eine neue braune Maus zwischen den Wänden aussetzen. «
» Na dann « , sagt Sam, » behalten wir die Kohle. «
Ich fahre den Rest der Strecke nach Hause, löse Großvaters Gurt und schüttele ihn. Als das nicht funktioniert, schlage ich ihm so lange ins Gesicht, bis er grunzt und die Augen einen Schlitz breit öffnet.
» Mary? « , sagt er, und das gibt mir den Rest. So hieß meine Großmutter und die ist schon lange tot.
» Halt dich an mir fest « , sage ich, aber er hat Wackelpudding in den Beinen und kann sich kaum halten. Langsam schleppen wir uns voran. Ich bugsiere ihn direkt ins Badezimmer, wo ich ihn auf die Fliesen gleiten lasse. Dann mixe ich ihm einen Cocktail aus Wasserstoffperoxid und Wasser.
Als es mit dem Kotzen losgeht, freue ich mich, dass sich der Chemieunterricht in Wallingford gelohnt hat.
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