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Weißer Fluch: Band 1 (German Edition)

Weißer Fluch: Band 1 (German Edition)

Titel: Weißer Fluch: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holly Black
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tonlos.
    Ich setze mich mit Audrey auf die Betonstufen vor dem Kunstgebäude. Ihr Hals ist fleckig, wie immer, wenn sie nervös ist. Sie streicht sich mehrmals die Haare aus dem Gesicht und hinter die Ohren, aber beim kleinsten Windhauch fliegen sie wieder.
    » Tut mir leid, was neulich auf der Party passiert ist « , sage ich. Ich möchte ihre Haare berühren und für sie zurückstreichen, aber ich lasse es sein.
    » Ich bin eine unabhängige Frau und treffe meine eigenen Entscheidungen « , sagt sie. Sie zupft mit behandschuhten Händen an ihrer grauen Strumpfhose.
    » Ich wollte nur sagen, dass ich– «
    » Ich weiß, was du sagen willst « , erwidert sie. » Ich war betrunken, und ein betrunkenes Mädchen soll man nicht küssen, schon gar nicht vor ihrem Freund. Das ist ungalant. «
    » Du bist mit Greg zusammen? « Das erklärt natürlich seine Reaktion.
    Sie beißt sich auf die Unterlippe und zuckt die Achseln.
    » Und dann habe ich ihn auch noch geschlagen! « , sage ich schnell, um sie zum Lachen zu bringen. » Keine Pistolen in der Morgendämmerung. Du bist sicher sehr enttäuscht. Die Galanterie ist wahrhaftig ausgestorben. «
    Sie grinst, so erleichtert ist sie, dass ich sie keinem Verhör unterziehe. » Ich bin wirklich enttäuscht. «
    » Ich bin lustiger als Greg « , sage ich. Heute fällt es mir leicht, mit ihr zu reden, weil ich weiß, dass ich das letzte Mädchen, in das ich verliebt war, nicht getötet habe. Ich hatte keine Ahnung, wie schwer ich an dieser Last getragen habe, ehe sie verschwand.
    » Aber er mag mich lieber, als du es je getan hast « , sagt sie.
    » Dann muss er dich aber wirklich supergern haben. « Ich sehe ihr in die Augen und werde mit roten Flecken auf ihren Wangen belohnt.
    Sie boxt mich auf den Arm. » Ooooh. Du bist witzig. «
    » Soll das heißen, dass du noch nicht über mich hinweg bist? «
    Sie lehnt sich zurück und streckt sich. » Ich weiß nicht genau. Kommst du in die Schule zurück? «
    Ich nicke. » Ich komme wieder. «
    » Soso « , sagt sie. » Vielleicht hab ich dich bis dahin vergessen. «
    Ich grinse. » Abwesenheit lässt mindere Leidenschaften verblassen und beflügelt die großen. «
    » Du hast ein gutes Gedächtnis « , sagt sie, konzentriert sich jedoch auf irgendwas hinter mir.
    » Hab ich schon erwähnt, dass ich auch schlauer bin als Greg? « Als sie nicht reagiert, drehe ich mich um. Was findet sie bloß so spannend?
    Lila kommt über den Schulhof auf uns zu. Sie trägt einen langen Rock und einen Pulli, die sie offenbar jemandem abgeschwatzt hat. Ihre Haare hat sie so radikal abgeschnitten, dass sie kürzer sind als meine: ein blassilberner Helm. Sie trägt immer noch meine Stiefel und pinkfarbener Gloss glänzt auf ihren Lippen. Einen Augenblick lang stockt mir der Atem.
    » Ziemlicher Unterschied « , sagt Audrey.
    Lila lächelt noch mehr. Sie kommt zu mir und hängt sich ein. » Tausend Dank dafür, dass ich deine Dusche benutzen durfte. «
    » Gerne « , sagt Audrey. Sie beobachtet uns, als wäre ihr gerade klar geworden, dass doch irgendwas komisch ist. Vielleicht liegt es daran, dass Lila jetzt so anders aussieht.
    » Wir müssen den Zug kriegen, Cassel « , sagt Lila.
    » Stimmt « , sage ich. » Ich rufe dich an. «
    Audrey nickt, sie ist immer noch verwirrt.
    Lila und ich gehen zum Bürgersteig, und ich weiß, was jetzt kommt. Raus aus der Geschichte und nichts wie weg. Egal was auf dem Spiel steht, der Ablauf ist immer gleich.
    Wie sich herausstellt, bin ich kein bisschen wie mein Dad. Ich bin ganz meine Mutter.
    Ohne den an Werktagen üblichen Pendlerverkehr ist es gähnend leer am Bahnhof. Ein Typ in meinem Alter sitzt auf einer der lackierten Holzbänke und streitet mit einem Mädchen. Ihre Augen sind rot und verquollen. Eine alte Frau beugt sich über einen Einkaufswagen mit Lebensmitteln. In der anderen Ecke giggeln zwei Mädchen mit pink gefärbten Irokesen über einem Gameboy.
    » Es wäre besser, wenn wir deinen Dad anrufen. « Ich angele mein Handy aus der Tasche. » Damit er auch im Büro ist, wenn wir auftauchen. «
    Lila starrt in die Scheibe eines Getränkeautomaten. Ich kann ihre Miene nicht deuten. Ihr Spiegelbild wackelt, vielleicht zittert sie. » Wir fahren nicht nach New York. Wir müssen ihn irgendwo anders treffen. «
    » Warum? «
    » Weil außer ihm niemand erfahren darf, dass ich wieder da bin. Niemand. Wir wissen nicht, wer alles mit Anton unter einer Decke steckt. «
    » Okay. « Ich nicke. Nach dem, was sie

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