Weißer Fluch: Band 1 (German Edition)
Haar war vorher schon zu lang und sieht jetzt richtig struppig aus, aber ich klatsche Wasser drauf und kämme es in Form.
In der Schule wird Wert darauf gelegt, dass man glattrasiert wie ein Babypopo zum Unterricht erscheint, aber ich rasiere mich trotzdem nicht. Die Schwellung ist so schon schlimm genug, und ich kann mir genau vorstellen, was die anderen sagen würden, wenn sie sie in voller Pracht bewundern dürften.
In der Küche koche ich Kaffee und sehe zu, wie die schwarze Flüssigkeit in die Kanne tropft. Das erinnert mich an Lila, wie sie auf das schwarze Meer schaut und mir den Rücken zukehrt, als ich das Hotel verlasse.
Mom sagt, wenn du jemanden betrügst, muss es auch um etwas gehen, etwas, das so wichtig ist, dass die Betrogenen nicht einfach abhauen, wenn es brenzlig wird. Sie müssen aufs Ganze gehen. Dann gewinnst du.
Lila steht auf dem Spiel. Sie haut nicht ab, und das bedeutet, dass ich mich auch nicht aus dem Staub machen kann.
Ich muss aufs Ganze gehen.
Sie gewinnen.
Die Lehrer sind richtig nett zu mir. Die meisten– bis auf Dr. Stewart, der mir haufenweise Sechsen gibt, die er beim Eintrag ins Klassenbuch freudig verkündet– verstehen, dass ich mit den Hausaufgaben nicht mehr nachgekommen bin, obwohl sie mir täglich gemailt hatten. Angeblich freuen sie sich, dass ich wieder da bin. Ms Noyes umarmt mich sogar.
Meine Mitschüler dagegen sehen mich an, als wäre ich ein gefährlicher Irrer mit zwei Köpfen und einer ekligen, ansteckenden Krankheit. Ich verhalte mich möglichst unauffällig, esse mein Mittagessen und heuchele im Unterricht Interesse.
Dabei schmiede ich in meinen Tagträumen die ganze Zeit Pläne.
In der Cafeteria setzt sich Daneca neben mich und schiebt mir ihren Notizblock rüber. » Willst du bei mir abschreiben? «
» Abschreiben? « , frage ich begriffsstutzig und schaue auf den Block.
Sie verdreht die Augen. Ihr Haar trägt sie in zwei Zöpfen mit roten Zopfgummis. » Ich zwinge dich bestimmt nicht « , sagt sie.
» Nein « , sage ich. » Ich will ja. Ganz bestimmt. « Ich blättere in ihrem Notizblock, schaue auf ihre schnörkelige Handschrift und ziehe die Umrisse der Buchstaben mit meinem behandschuhten Finger nach. Dabei kommt mir eine Idee.
Langsam fange ich an zu grinsen.
Am anderen Ende des Tisches stellt Sam sein Tablett mit einer köstlich duftenden, pappigen Portion überbackener Makkaroni ab.
» Hey « , sagt er. » Bereite dich seelisch darauf vor, dass du gleich sehr glücklich sein wirst. «
Das überrascht mich jetzt wirklich. » Was? « , frage ich. Mit den Fingern male ich neue Wörter an den Rand von Danecas Notizblock. Pläne. Ich schreibe in einer vertrauten Handschrift, aber es ist nicht meine.
» Kein Mensch hat geglaubt, dass du wiederkommst. Niemand. Keeeeiiiiner. «
» Danke. Ja, ich verstehe, dass du glaubst, ich fände das super. «
» Mann « , sagt er. » Eine Menge Leute haben gerade viel Geld verloren. Damit haben wir die miese Wette wieder raus. Wir sind die Könige der Finanzwelt! «
Verwundert schüttele ich den Kopf. » Habe ich nicht immer schon gesagt, dass du ein Genie bist? «
Wir hauen uns auf die Schulter, recken die Fäuste und lächeln wie bescheuert.
Daneca zieht die Stirn kraus, und schon hört Sam auf. » Äh « , sagt er, » wir wollten noch ein paar andere Sachen mit dir besprechen. «
» Weniger lustige wahrscheinlich « , sage ich.
» Tut mir leid, dass deine Katze abgehauen ist « , sagt Daneca nach einer kurzen Pause.
» Oh. « Ich schaue hoch. » Kein Problem, der Katze geht’s gut. Sie ist wieder da, wo sie hingehört. «
» Was meinst du damit? «
Ich schüttele den Kopf. » Zu kompliziert. «
» Bist du irgendwie in Schwierigkeiten? « , fragt Sam. » Wenn, dann kannst du es uns ruhig erzählen. Mann, nimm es mir nicht übel, aber ich glaube, du kommst nicht mehr richtig klar. «
Daneca räuspert sich. » Sam hat mir erzählt, was du zu ihm gesagt hast, als er dich mit dem Mädchen im Bett erwischt hat. Dass du ein– «
Ich sehe mich in der Cafeteria um, aber es ist niemand in der Nähe. » Du hast ihr erzählt, dass ich ein Fluchwerker bin? «
Sam senkt rasch den Blick. » Wir waren echt viel zusammen, wegen des Theaterstücks und überhaupt. Tut mir leid. Sorry. Das war echt blöd von mir. «
Klar. Normale Leute tratschen. Normale Menschen erzählen sich was, vor allem, wenn sie Eindruck schinden wollen. Eigentlich müsste ich jetzt beleidigt sein, aber ich bin einfach nur
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