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Weißer Mann mit Brille

Weißer Mann mit Brille

Titel: Weißer Mann mit Brille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Erziehung zurückzuführen ist.
    Wenn Emilienne hier wäre, würde sie mir am Ende auch noch den ganzen Tag vorreden:
    › Na siehst du, Ferdinand! ‹
    Denn zwischen mir auf der einen Seite, Lady Makinson und ihrem Gefährten auf der anderen Seite besteht dasselbe soziale Gefälle wie zwischen dem kleinen, hilflosen Ehepaar und mir. Wieder liegt es an der Erziehung (fasse das bitte nicht als Vorwurf auf!). Sie sind in meinem Haus zu Gast, und ich komme mir hier wie ein Fremder vor. Ich spüre es an merkwürdigen kleinen Details, zum Beispiel den Blicken, mit denen die Serviettentaschen, die Marie-Thérèse mir gestickt hat, beäugt werden … Ich bin rot geworden, als hätte ich mir etwas überaus Abgeschmacktes zuschulden kommen lassen. Sag Marie-Thérèse nichts davon, sie würde es nicht verstehen.
    Sogar Camille ist gekränkt. Zehn Jahre lang hat er Englisch gelernt, und unsere Gäste verstehen kein Wort von dem, was er sagt.
    Ich hoffe, daß sie schon morgen abreisen. Wir warten auf Nachricht aus Niangara.
     
    Und zum Schluß:
     
    Major Crosby, dem die Elefantenfarm untersteht, hat mit uns zu Abend gegessen. Sie hatten mich gefragt, ob es mir etwas ausmache, wenn englisch gesprochen würde. Ich soll eine akzentfreie Aussprache haben. Lady Makinson wird bis zum Eintreffen des Propellers, den sie telegrafisch in England bestellt hat, in meinem Haus wohnen. Damit ich wenigstens über ein Zimmer verfüge, wird der Captain in die Elefantenfarm übersiedeln, und Crosby leiht ihm sein Auto. Die Regenfälle, die vor kurzem eingesetzt haben, sind schon wieder vorbei. Die Hitze wird recht unangenehm.
     
    Als er vor dem Schlafengehen im Zimmer, das Captain Philps nun nicht mehr in Beschlag nahm, diese letzten Zeilen schrieb, zitterte er, als hätte er einen Fieberanfall. Den ganzen Abend hatte er sich fiebrig gefühlt, so daß er schon Malaria befürchtete.
    Major Crosby war gegen fünf Uhr in seinem aufsehenerregenden, bereits fünfzehn Jahre alten Auto eingetroffen. Als es neu war, hatten sich alle Londoner Gaffer danach umgedreht, denn da seine Karosserie ganz mit Aluminium verkleidet war, wirkte es mehr wie ein Torpedo als wie ein Automobil.
    Als der Wagen vorfuhr, wanderte Graux gerade allein den Fluß entlang. Er mußte seine Ruhe wiedergewinnen, aber alle Anstrengungen waren vergeblich. Von weitem hatte er Crosby auf dem Fahrersitz gesehen, daneben Captain Philps, doch statt seine Schritte zum Haus zu lenken, hatte er sich noch einen Kilometer davon entfernt. Mechanisch hielt er auf der Wasserfläche nach dem vertrauten Nilpferd Ausschau.
    Jemand rannte hinter ihm her. Als er sich umwandte, erblickte er Camille, der ganz außer Atem geraten war.
    »Der Major ist eingetroffen. Was soll ich tun?«
    »Geh Baligi zur Hand, kocht ein Abendessen für alle …«
    »Und Sie?«
    »Ich komme gleich nach. Sag ihnen, daß ich zu tun habe.«
    Dieser Narr begriff einfach nicht, daß er jetzt allein sein mußte. Statt dessen zeigte er seine Besorgnis über Ferdinands gerötetes Gesicht, seine glänzenden Augen, die Verkrampfung seiner Züge, als hätte er eben geweint oder würde im nächsten Augenblick in Tränen ausbrechen.
    »Was ist mit Ihnen?«
    »Jetzt mach aber, daß du fort kommst, du Blödian!«
    In diesem Ton hatte er nie mit Camille gesprochen. Beinahe hätte er mit dem Fuß aufgestampft. Er hätte ihn notfalls sogar angefleht, ihn allein zu lassen.
    Doch als Camille gegangen war, stand es um ihn auch nicht besser, sonst hätte er ihn nicht zurückgerufen.
    »Camille! … Hast du sie gesehen?«
    »Wen? Ach ja … Lady Makinson … Eben habe ich dem Captain dabei geholfen, sie in die Diele zu tragen …«
    »Was hat sie gesagt?«
    »Nichts.«
    »Ist sie irgendwie anders?«
    »Nein, wie immer …«
    »Geh jetzt!«
    Er wußte nicht einmal, ob er glücklich war oder unglücklich. Doch wohl eher unglücklich! Denn sonst würde er doch nicht durch die vertraute Landschaft irren, die er gewissermaßen selber geschaffen hatte und in der er sich plötzlich fremd fühlte! Wieder hielt er nach dem Nilpferd Ausschau. Als sein gewaltiges Maul im Wasser auftauchte, freute er sich nicht einmal darüber. Wie hatte er nur ganze Abende damit verbringen können, ein Nilpferd zu betrachten und sich im Glauben zu wiegen, daß zwischen dem Tier und ihm eine besondere Verbundenheit bestand?
    Er nannte es Popotam. Ein Ausspruch Emiliennes kam ihm in den Sinn:
    »Ich bin schon fast eifersüchtig auf dein Popotam … Du hast so eine Art, von

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