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Weißer Mann mit Brille

Weißer Mann mit Brille

Titel: Weißer Mann mit Brille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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ihm zu reden …«
    Er warf alles durcheinander! Wie kam es nur, daß er, Ferdinand Graux …
    Er war wirklich krank, so krank, daß die roten Dächer der Gebäude ihn gleichgültig ließen, ihm geradezu Widerwillen einflößten.
    Nur an sie vermochte er zu denken, nur daran. Ja, daran! An eine Frau, die letztenendes eben doch nur eine Frau war, an eine Umarmung wie jede andere Umarmung auch.
    War es nicht unsinnig, einer Begebenheit so große Bedeutung beizumessen, die doch eigentlich episodischen Charakter hatte? Ihretwegen alle seine Grundsätze über den Haufen zu werfen, seine Kaltblütigkeit zu verlieren und Dinge zu denken, derer er sich vor sich selber schämte?
    Er ging ja soweit, zu denken, daß sein ganzes Leben sich verändert hatte! Ja, von Grund auf verändert! Wegen dieser einen Stunde, da ihre schweißnassen Körper einander angehört hatten! Wegen dieses Liebesaktes, dem jede Grazie ermangelte!
    Er hätte vor Wut losbrüllen mögen! Er mußte um jeden Preis seine Ruhe zurückgewinnen, zur Vernunft kommen, seine Selbstbeherrschung zurückerlangen, wieder ins Lot kommen!
    Er hatte mit Lady Makinson geschlafen. Das war eben geschehen! Aber nun war die Sache vorbei!
    Welch ein Irrsinn, dem irgendeine Bedeutung beizumessen! Schlief sie nicht jeden Tag mit Philps? Hatte sie nicht zwei Kinder von ihrem Mann?
    Unvermittelt machte er kehrt. Er hielt sich für beruhigt und eilte mit großen Schritten auf das Haus zu, gab sich unterwegs alle Mühe, an das Baumaterial zu denken, das er in Stanleyville bestellen mußte, um das Dach der Krankenstation zu erneuern. Unter anderem benötigte er auch Wellblech …
    War das klüger? War es klüger, an Wellblech zu denken als an eine Frau? Was hatte er jetzt davon, daß er sechs Jahre lang im Schweiße seines Angesichts eine Plantage aufgebaut hatte, die ihm keinen roten Heller einbrachte, ihn vielmehr Geld kostete und die er auch nicht verkaufen konnte, da kein Mensch hier draußen im Busch leben wollte?
    Jetzt mußte er so schnell wie möglich herausfinden, ob auch mit ihr eine Veränderung vorgegangen war. Vorhin hatte sie sich ihm mit ungestümer Leidenschaftlichkeit hingegeben. Er hatte nicht gewußt, daß eine Frau, vor allem eine solche Frau, so sehr aus sich herausgehen konnte. In manchen Augenblicken wurde sie fast wie ein kleines Mädchen, und er hätte nicht zu sagen vermocht, ob sie lachte oder weinte. Sie stammelte etwas, zusammenhanglose Worte, doch der Klang ihrer entrückten Stimme verfolgte ihn noch jetzt …
    Sie saßen auf der Barza und mußten ihn kommen sehen. Er bemühte sich, in ruhigem, gleichmäßigem Schritt zu gehen. Crosby, ein geschwätziger alter Trunkenbold, kam ihm ein paar Meter entgegen:
    » Hello, Ferdinand! Wie geht’s, Sie alter Schwerenöter? Jetzt trifft man bei Ihnen ja Flugzeuge und hübsche Frauen an!«
    Und sie lächelte ihm zu! Da saß sie in ihrem Liegestuhl, eine Zigarette im Mund, die Augen wegen des aufsteigenden Rauches halbgeschlossen. Sie lächelte ihm so unverbindlich zu wie die Dame des Hauses einem Gast. Philps hielt sich dicht neben ihr, und Ferdinand warf ihm einen bitterbösen Blick zu.
    »Ihr Angestellter hat uns zum Essen eingeladen. Er ließ etwas von einer eingemachten Gans verlauten, die Sie aus Frankreich mitgebracht hätten.«
    Sie aber sagte:
    »Könnte ich bitte statt dessen zwei Eier haben, Ferdinand? Geflügel habe ich nie essen können.«
    Sie hatte immerhin ›Ferdinand‹ gesagt, aber auf so ungezwungene, selbstverständliche Art, daß Philps überhaupt nichts bemerkte.
    Gleich darauf lenkte sie das Gespräch auf das Flugzeug, redete auf englisch weiter, nachdem sie sich bei Ferdinand entschuldigt hatte:
    »Sie gestatten doch? Der Major spricht so schlecht Französisch …«
    Der Captain hatte ihr das Telegramm von ihrem Mann mitgebracht, das sie ihnen vorlas:
     
    » War sehr in Sorge Stop Täglich Nachricht geben Stop Kinder wohlauf Stop Rückkehr ankündigen Herzlichst James. «
     
    Keine Rede von Gefühlen. Sie sorgte sich nur um den Propeller. Philps mußte den Wortlaut des Telegramms wiederholen, das er nach London geschickt hatte, ihr dann haarklein alles berichten, was er unternommen hatte, um ihre Papiere in Ordnung zu bringen.
    Die Nacht brach herein. Die drei Engländer tranken Whisky, und der Major war schon bei seinem dritten Glas angelangt. Dann und wann schweiften ihre Blicke zum Hügel hinüber, der sich bläulich verfärbte, zum Schattenriß des riesigen Kapokbaumes, der das

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