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Weißer Mann mit Brille

Weißer Mann mit Brille

Titel: Weißer Mann mit Brille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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landen könnte.«
    »Warum sprechen Sie von ihm?«
    »Mir scheint doch, Sie hätten das Gespräch auf ihn gebracht.«
    »Wir werden uns wieder streiten.«
    Vor Wut über seine Unfähigkeit, die menschliche Unfähigkeit überhaupt, seine schäbige Engherzigkeit zu überwinden, ballte er die Fäuste.
    Jetzt hätte er alles darum gegeben, sie in seinen Armen zu halten, sie anzuflehen, bei ihm zu bleiben, einzig ihm anzugehören, nie und nimmer in den Armen eines anderen Mannes sich in die Frau zu verwandeln, die sie in seiner Umarmung wurde und deren entrückte Stimme ihm noch in den Ohren klang.
    »Mary!«
    »Aber ja, Ferdinand! Ich bin doch bei Ihnen. Aber sie reden die ganze Zeit. Mit welcher Wonne Sie sich selber quälen! Nie denken Sie an mich, an mein Leben, an Ankara, an meine Kinder …«
    Es gelang ihm, sich zu beherrschen und zu schweigen, aber was sie eben gesagt hatte, überstieg sein Fassungsvermögen, schnürte ihm die Kehle zu.
    »Bei der ersten Begegnung erweckten Sie den Eindruck eines vernünftigen, soliden Mannes … Neben Ihnen nimmt sich Philps wie ein Schuljunge aus. Doch als Sie Ihre Brille abnahmen, wurden Sie wie er. Alles macht Ihnen angst, und dann werden Sie ruppig … Ich hätte schon am ersten Tag abreisen sollen …«
    »Versprechen Sie mir, nur diese eine Frage zu beantworten?«
    »Aber ja«, seufzte sie, um der Sache ein Ende zu machen.
    »Dann sagen Sie mir, ob Philps Bescheid weiß oder nicht …«
    »Worüber soll er denn …«
    »Daß ich Ihr Liebhaber bin!«
    »Schon wieder! Aber natürlich, Ferdinand … Er weiß es.«
    »Ist er denn nicht eifersüchtig?«
    »Warum eigentlich?«
    »Sie werden doch nicht bestreiten, daß auch er Ihr Liebhaber ist?«
    Sie sprang auf, wäre beinahe gefallen, weil sie ihren Stock an der falschen Stelle aufsetzte.
    »Wohin gehen Sie?«
    »Ich gehe schlafen.«
    »Sie haben mir nicht geantwortet …«
    Aber schon eilte sie davon. Jeder Schritt wurde durch das harte Aufschlagen des Stockes auf dem roten Ziegelboden untermalt.
    Da war es ihm, als würde der vermaledeite Satz in seinen Ohren ertönen:
    ›Hast du gehört, Georges?‹
    Wäre nicht ein anderer Spruch angebrachter gewesen:
    ›Da hast du’s, Ferdinand!‹
    Zum ersten Mal schloß sie ihre Zimmertür ab, obwohl es keinen Grund dafür gab, da er noch nie versucht hatte, ungebeten in ihre Intimsphäre einzudringen.
    Nun erhob auch er sich, trat in die Diele, die im Dunkeln lag. Er hatte das Gefühl, daß etwas anders war, als es sein sollte, und schaltete das Licht ein.
    Camilles Feldbett war leer, ja nicht einmal aufgeschlagen.
    Beunruhigt trat Ferdinand auf die Veranda hinaus und suchte sie lautlos ab. Wenn die Hitze in der Nacht gar zu drückend war, legte Baligi oft ihre Matte nach draußen und schlief im Freien vor der Küchentür.
    In jener Nacht wurde diese Stelle vom Mond beschienen. Als Ferdinand an die Mauerecke gelangte, bewegte sich etwas, und er sah einen Kopf unter dem Laken hervorkommen.
    Es war Camille, der mit der Schwarzen unter der Decke lag. Er rutschte auf der Matte hin und her und wußte nicht, wie er sich verhalten sollte.
    Bevor er aufstehen konnte, war Graux schon verschwunden, der nun ebenfalls seine Zimmertür abschloß.
    Bis zehn Uhr morgens blieb sie unsichtbar, aber er hörte sie in ihrem Zimmer hin und her gehen. Um zehn Uhr ertönte die Hupe des Autos mit der Aluminiumkarosserie. Wenige Augenblicke später schritten Major Crosby und Philps die Außentreppe hinauf, traten zu Graux.
    »Ist Lady Makinson nicht hier?«
    Sie hatte sie kommen hören. Die Zimmertür öffnete sich. Sie sagte auf englisch zu ihnen:
    »Kommen Sie einen Moment herein. Ich habe mit Ihnen zu reden.«
    Zu Ferdinand gewandt, setzte sie hinzu:
    »Sie gestatten doch, Ferdinand?«
    Die Besprechung im Zimmer währte eine halbe Stunde. Zweimal ging Camille zu Ferdinand, versuchte ihm etwas zu sagen, hub sogar an:
    »Ich muß es Ihnen erklären …«
    »Aber nicht doch, alter Knabe! Das ist nicht nötig …«
    Baligi war nirgendwo zu sehen. Der Regen ließ immer noch auf sich warten. Am Himmel standen Gewitterwolken, die Erde war heiß. Der Fluß war beinahe ausgetrocknet und der Wasserfall zu schwach, um die Turbinen in Bewegung zu setzen.
    Endlich wurde die Zimmertür geöffnet.
    »Können wir einen Whisky haben?« fragte der Major noch auf der Schwelle.
    Hinter ihm war Lady Makinsons Stimme zu vernehmen: »Kommen Sie doch bitte einen Augenblick herein, Ferdinand!«
    Noch nie hatte er sie in so

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