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Weißer Mann mit Brille

Weißer Mann mit Brille

Titel: Weißer Mann mit Brille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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weiß es jeder. Plötzlich verreiste sie in die Rocky Mountains, so wie andere Leute das Wochenende auf dem Land verbringen. Als Achtzehnjährige spazierte sie mit einem jungen Panther durch London …«
    Das war ja schön und gut, aber warum erzählte man das ihm, ausgerechnet ihm? Was sollte dieser zwanglose Ton, aus dem er die Ironie herausspürte, warum zeigte der junge Mann ihm so deutlich, daß er keinerlei Eifersucht hegte, als wollte er ihm andauernd sagen:
    ›Ich laß Ihnen freie Hand … Nützen Sie Ihre Chance …‹
    Zweimal, ja zweimal … Das waren die Höhepunkte der letzten Wochen gewesen, die Höhepunkte in Ferdinands Leben überhaupt …
    Was war denn das Besondere an diesen Tagen gewesen? Das erstemal … Sie saßen am Frühstückstisch mit der obligaten rotgewürfelten Decke. Camille hatte mit finsterem Gesicht sein Essen hinuntergeschlungen und war hinausgegangen. Kaum je hatte der Hügel mit den Kaffeesträuchern so sanft und freundlich ausgesehen. Die tiefgrünen Pflanzen, die sich gegen die rote Erde abzeichneten, und die vereinzelten Silhouetten der nackten Schwarzen taten dem Auge wohl.
    Mechanisch hatte Lady Makinson nach ihrem Zigarettenetui gegriffen, es dann aber wieder von sich geschoben und geflüstert:
    »Nein!«
    Überrascht hatte er sie angeblickt und gefragt:
    »Woran denken Sie?«
    »An nichts … Sagen Sie nichts …«
    Sie war bewegt, das spürte er genau. Er hätte geschworen, daß sie sich von der Atmosphäre des Hauses, durch seine eigene beruhigende Ausstrahlung, durch den tiefen Frieden hier gleichsam eingesponnen fühlte. Doch das Übel war, daß er einfach nicht schweigen konnte. Sie hatte es ihm oft genug gesagt. Damit verdarb er alles!
    »Sagen Sie mir, woran Sie denken … Bedauern Sie irgend etwas? … Mary! Sehen Sie mich an …«
    Sie hatte ihn angeblickt, aber streng und unfreundlich. Der Zauber war schon gebrochen. Sie sagte seufzend:
    »Immer müssen Sie reden!«
    »Weil ich Sie liebe …«
    Nein! Diese Erklärung konnte sie nur mit einem Achselzucken beantworten, das ihn für den restlichen Tag unglücklich machte.
    Das zweitemal … Seit dem Vortag konnte sie wieder gehen … Am Abend saß er schreibend in seinem Zimmer, als sich die Tür öffnete. Lady Makinson blieb auf der Schwelle stehen, ihren Stock in der Hand.
    »Ich wollte wissen, was Sie so treiben, wenn Sie allein sind …«
    Er war aufgestanden. Sie blickte zu den feinen Briefbogen herüber.
    »Sie können sie ruhig lesen«, hatte er gesagt.
    An jenem Abend küßte sie ihn anders als sonst, ohne jede Sinnlichkeit. Ihre Züge wirkten angespannt, als wollte sie lästige Gedanken verscheuchen.
    »Sie sind mir schon ein Talatala! …« hatte sie dabei gemurmelt. »Nein! Lassen Sie mich jetzt schlafen … Bleiben Sie hier …«
    Warum packte ihn nur immerfort das Bedürfnis zu reden, auch jetzt wieder, da doch die Nacht sie umschloß und ihr Atem kurz und schnell ging.
    »In manchen Augenblicken glaube ich wirklich, daß Sie mich lieben … Aber kaum lösen Sie sich aus meinen Armen …«
    »Ferdinand!«
    »Da haben Sie’s wieder! Man könnte meinen, Sie schämen sich, weil …«
    »Wird es mir denn nie glücken, Sie zum Schweigen zu bringen?« fuhr sie ihn an. »Wollen Sie denn einfach nicht begreifen, daß ein Gentleman über solche Dinge nicht spricht?«
    Er höhnte:
    »Philps ist wohl ein Gentleman! …«
    »Philps benimmt sich immer korrekt …«
    »Ja! Ja! Philps ist stets der korrekte Gentleman, wohingegen ich …«
    »Sie geraten immer außer sich … Warum wollen Sie unseren letzten Abend verderben? … Morgen reise ich ab …«
    »Ja.«
    »Sie müssen mir versprechen, vernünftig zu sein, ihr gewöhnliches Leben wieder aufzunehmen … Ja, durchaus! Seien Sie doch nicht so romantisch … Ich werde nach Istanbul fahren. Dort gehe ich auf die Teegesellschaften in der Botschaft, spiele Tennis, fahre in meinem Schiff mit Außenbordmotor auf dem Bosporus spazieren, und vielleicht schicke ich Ihnen sogar eine Ansichtskarte …«
    Ihre Stimme klang ein wenig schrill. Er hätte gern ihr Gesicht gesehen.
    »Und Philps übernimmt dann wieder die Rolle des Hausfreundes …«, sagte er.
    »Entweder sind Sie dumm oder bösartig, Ferdinand. Ich überlasse Philps mein Flugzeug, denn er hat es sich in den Kopf gesetzt, auf dem Luftweg nach Neuseeland zu reisen. Das ist eine sehr mutige Tat, denn er muß den Indischen Ozean überfliegen, und nach Madagaskar gibt es nur noch zwei winzige Inselgruppen, wo er

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