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Weißer Mann mit Brille

Weißer Mann mit Brille

Titel: Weißer Mann mit Brille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Möbel, die aus hiesigem Holz gefertigt waren, Baligi zuzusehen, die sie mit rührender Schüchternheit bediente. Aber die während des Tages aufgenommenen Bilder wirbelten noch durch ihren Kopf.
    Wie hatte Madame Costemans gesagt?
    »Ich habe gesehen, daß Sie zu ihr hineingingen … Für uns ist das Ganze eine Katastrophe … Nur weil sie Pariserin ist, bildet sie sich ein, sie könne hier alles bestimmen, aber sie ist eine Pariserin aus der Gosse, die jeder Kinderstube ermangelt … Verzeihen Sie den harten Ausdruck: Sie ist ein kleines Miststück … Und ihr Mann weiß das ganz genau …«
    Madame Costemans in ihrem blauseidenen Kleid … Die Einrichtung kam geradewegs aus einem Kaufhaus. Solche Möbelgarnituren werden in Tausenden von Exemplaren hergestellt, inbegriffen die Sofakissen mit gelben Seidenbezügen, auf die eine schwarze Samtkatze appliziert war.
    Bestickte Deckchen, ein Klavier, Nippsachen, verschnörkeltes Tafelbesteck …
    »Was ihn angeht, so ist er ein armer Trinker … Mein Mann ist es leid, ihm Vorhaltungen zu machen, und so redet er überhaupt nicht mehr mit ihm … Man sollte die Leute, die in die Kolonien verschickt werden, sorgfältiger auswählen …«
    Sie hatten die Fragen betreffs der Plantage im Wohnzimmer besprochen, um nicht ins Büro zurückkehren zu müssen.
    »Das geht die Bodets nichts an«, hatte Madame Costemans geäußert, in deren Gegenwart die Unterredung stattfand.
    Die Antwort aus Brüssel lautete dahingehend, daß Graux den Besitz für zweihunderttausend belgische Francs erwerben konnte und damit in den Genuß aller Vergünstigungen kam, die den belgischen Plantagebesitzern beim Anbau und der Ausfuhr des Kaffees zugestanden wurden.
    »Es genügt, dem Ministerium einen Scheck zu übersenden. Ich bin hier nur eine vermittelnde Instanz. Die Entscheidung liegt bei Ihnen …«
    Graux war mit den Steuern in Verzug, er schuldete etwas über viertausend Francs, die sie sogleich mittels eines Schecks auf seinen Namen bezahlte. Das war der einzige erfreuliche Augenblick an diesem Tag, denn während sie den Scheck ausfüllte, hatte Emilienne endlich das Gefühl, etwas Nützliches zu tun.
    »Haben Sie ein Auto?«
    »Ja.«
    »Dann darf ich mich jetzt verabschieden. Die Palaver müssen weitergehen. Wenn es Sie interessiert …«
    »Danke … Ich bin ein wenig müde …«
    Sie wollte sich von Yette verabschieden und schritt auf den Bungalow zu. Man hatte sie wohl kommen sehen, denn als sie die Außentreppe erreichte, wurde die Tür heftig zugeschlagen.
    Emilienne war drauf und dran, auf einer Unterredung mit Yette zu bestehen, ihr zu erklären, daß sie die Einladung bei Costemans unmöglich hatte ausschlagen können. Es schmerzte sie beinahe körperlich – ja, sie fühlte so etwas wie Gewissensbisse! –, das arme Ding so allein in ihrer törichten und ungereimten Verzweiflung zurückzulassen. »Wenn ich mir das so überlege, dann kommt mir das Ganze einfach unwirklich vor«, sagte sie, als sie schon im Auto saßen.
    Wie ein Echo murmelte Camille:
    »Wissen Sie, was ich erfahren habe? Heute nachmittag wird über einen Fall von Menschenfresserei verhandelt: Der Schwiegervater und der Ehemann haben die Frau getötet und sie gegessen …«
    Doch weiterhin strahlte die silbrige Sonne, glänzte der Himmel wie ein tiefer See, schritt ab und an eine leichtfüßige Schwarze mit langen, nackten Schenkeln und hochsitzenden Brüsten dahin.
    »Camille, glaubst du, daß Bodet etwas Schlimmes anrichten wird?«
    »Ich weiß nur, daß er schon zu der Zeit, als er mit seiner Frau hier eintraf, nicht eben auf festen Füßen stand. Sie aber war sich überhaupt nicht darüber im klaren, was es heißt, hier zu leben. Sie benahm sich wie auf einem Sonntagsausflug in der Vorstadt. Sie fand alles zum Schießen. Man mußte ihr andauernd sagen, daß sie ihren Tropenhelm aufsetzen sollte.«
    Dann war Camille ein Satz entschlüpft, der noch lange nachwirkte und der sie beide in eine träumerische Stimmung versetzte:
    »Nicht jeder ist so stark wie Ferdinand.«
    Noch einmal ließ Emilienne den Blick absichtslos durch den Raum schweifen, und erst jetzt ging ihr auf, in welchem Maße dieses Haus beruhigende Dauerhaftigkeit ausstrahlte. Nicht nur in seiner Bauweise glich es keinem anderen, sondern es hatte auch eine eigene, unverwechselbare Seele.
    Es war völlig neu in seiner Art! Es hielt sich an überhaupt keinen Stil! Es erinnerte in keiner Weise an ein europäisches Haus, und doch eignete ihm die

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