Weißer Mann mit Brille
warf sie einen flüchtigen Blick auf die langen Reihen von Schwarzen, die jetzt wie ein Pilgerzug die Straße säumten.
Dann und wann sah man einen Häuptling, mitunter in europäischer Kleidung, der von seinen Frauen und seinem kleinen Hofstaat umringt wurde.
»Sag mal, Camille …«
»Was?«
»Ach nichts …«
Was hatte sie ihn nur fragen wollen?
Wegen ihrer plötzlichen Abreise von Moulins hatte sie nicht die Zeit gehabt, sich mit allem auszustatten, was sie für ihr Leben in Afrika brauchte. So trug sie immer ihr graues besticktes Seidenkleid, in dem sie wie ein sehr junges Mädchen aus der Provinz aussah. Es paßte überhaupt nicht zum Tropenhelm, den sie auf Anraten eines Angestellten der Imperial Airways bei der Zwischenlandung in Alexandria gekauft hatte.
»Ist das die Stadt?«
»Ja … Biegen Sie dann links in den Park ein …«
Sie wunderte sich über nichts. Sie nahm alles hin, wie es eben kam, nicht einmal der Anblick von splitternackten Negern, die um einen Häuptling herumtanzten, vermochte sie zu schockieren. Am Ortseingang von Niangara stießen sie auf weitere Tänzer, die sich furchterregende Masken vors Gesicht hielten.
Na und? Das Ganze erinnerte sie an Karneval. Weiter nichts!
Was nun Niangara anbelangte … Stellenweise wurde die Straße von Holzhäusern gesäumt, in denen Läden untergebracht waren. Artikel aller Art wurden dort feilgeboten: Eisentöpfe, Konservendosen, eine Nähmaschine, ein Grammophon …
An den Eingängen standen Griechen oder Armenier mit verdreckten Tropenhelmen, die neugierig in die Mitte der Straße traten, um dem jungen Mädchen im Auto nachzusehen.
Schließlich gelangten sie in einen weitläufigen Park, wo die Farben Rot und Grün dominierten, genau wie bei Smith. Er umschloß drei villenartige Gebäude.
»Fahren Sie zum mittleren Haus«, riet Camille. »Dort befinden sich die Büros. Rechts wohnt Costemans, der Administrator, und links sind der stellvertretende Administrator und seine Frau untergebracht …«
Allenthalben herrschte ein Gedränge wie auf einem Dorffest. Die Schwarzen saßen teils auf dem Boden, teils liefen sie herum und vertrieben sich die Zeit mit munterem Wortgeplänkel.
Emilienne brachte den Wagen vor dem mittleren Bungalow zum Stehen. Gefolgt von Camille, stieg sie die Treppe hinauf. Die Tür stand offen. In einem Raum, der mit Anschlägen in französischer und flämischer Sprache tapeziert war, saßen zwei Männer bei der Arbeit, ein Schwarzer und ein Weißer. Der Schwarze trug eine khakifarbene Uniform, der Belgier einen weißen Leinenanzug.
»Guten Tag, Monsieur Bodet«, sagte Camille. »Darf ich Ihnen Mademoiselle Emilienne vorstellen. Sie ist Ferdinands Verlobte.«
Tintenfässer, grüne Schreibunterlagen, Löschblätter, amtliche Formulare … Es war sehr heiß … Georges Bodet rann der Schweiß von der Stirn. Der angeknöpfte Kragen und die schwarze Krawatte beengten ihn sichtlich.
»Nehmen Sie Platz«, sagte er, ohne sich von seinem Stuhl zu erheben.
Seine Stimme klang dumpf und gepreßt. Sein Blick wirkte so unstet, daß Emilienne befremdet zu Camille hinübersah.
»Ich nehme an, daß Sie den Administrator sprechen wollen. Er ist aber im Augenblick nicht hier.«
Dieser Mann war unglaublich nervös, mit seinen fiebrig glänzenden Augen wirkte er geradezu betrunken. Dabei war es kaum zehn Uhr!
»Haben Sie einen Paß?«
»Ja.«
»Und eine Aufenthaltsgenehmigung für den Kongo?«
»Ich werde sie beantragen. Ich habe nur ein Durchreisevisum.«
»Dafür ist der Administrator zuständig.«
»Wo befindet er sich jetzt?«
Mit seinem Federhalter deutete Georges auf die andere Seite der Durchgangsstraße, wo sich eine Art von Scheune erhob, die aus rohen Brettern gezimmert war und die Aufschrift trug: ›Eingeborenengericht‹. Rings um das Gebäude drängte sich die schwarze Menschenmenge.
»Wann wird er dort fertig sein?«
»Wenn er genug hat und die Sitzung aufhebt.«
Bodet erhob sich, öffnete eine Schranktür. Er verschwand dahinter, doch man vernahm ganz deutlich den leisen Knall, den das Entkorken einer Flasche verursacht. Gleich darauf kam er zurück, setzte sich wieder und fragte unvermittelt:
»Möchten Sie ihn hier erwarten?«
Argwöhnisch starrte er Emilienne ins Gesicht, als ob er von vornherein wüßte, daß das junge Mädchen ihm mißfallen würde.
Auch ihr war heiß, ihre Hände wurden feucht.
»Ferdinand hat mir in seinen Briefen viel von Ihrer Frau erzählt. Könnte ich sie nicht aufsuchen?«
Mit
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