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Weißer Mann mit Brille

Weißer Mann mit Brille

Titel: Weißer Mann mit Brille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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einem Satz sprang er auf. Er schien einem Wutanfall nahe. Aber nein! Er feixte:
    »Meine Frau wollen Sie sehen? Ja dann, nur zu … Es ist das linke Haus …«
    Sein Anblick erschütterte, ja beängstigte sie geradezu. Emilienne war heilfroh, als sie wieder im Freien standen. Sie fragte Camille:
    »Was ist nur mit ihm los?«
    »Ich weiß auch nicht, aber ich fürchte, bei ihm bricht bald das Denguefieber aus«, erwiderte der junge Mann.
    Auch ihm war die Sache unheimlich.
    »Lassen Sie das Auto hier stehen. Zu Fuß kommen wir schneller hin.«
    Sie überquerten das Rasenstück, das von Sträflingen in braungelb gestreiften Trikots gemäht wurde, und gelangten an die Außentreppe des Bungalows, auf den Bodet gezeigt hatte, und Camille rief mehrmals:
    »Ist da jemand? …«
    Alle Türen standen offen. Sie blickten in einen großen, unaufgeräumten Raum. Auf dem Tisch standen noch die Reste des Frühstücks herum, ein Schlafanzug lag über dem Diwan.
    »Ist da jemand? …«
    Emilienne hatte einen Boy bemerkt, der sich hinter dem Haus versteckte und sie neugierig beobachtete. Aber sie zog es vor, die Initiative ihrem Begleiter zu überlassen, der in den Bungalow trat, an verschiedene Türen klopfte und schließlich eine davon öffnete.
    Eine wütende Frauenstimme schrie:
    »Was soll das? Was wollen Sie hier?«
    Camille entfernte sich rückwärts. Nun trat Emilienne vor, und gleich darauf erschien Yette im Morgenrock mit ungekämmtem Haar und mit schweißglänzendem Gesicht.
    »Was soll das?« wiederholte sie.
    Sie paßte ebensowenig hierher wie ihr Mann.
    »Ich bin die Verlobte von Ferdinand Graux, der die Reise mit Ihnen gemacht hat …«
    »Was wollen Sie von mir?«
    Doch im gleichen Moment warf sich Yette auf einen Diwan und brach in Tränen aus.
    »Lassen Sie mich in Frieden …«, schrie sie. »Nein! Nein! Gehen Sie nicht … Warten Sie … Es ist doch einfach zu blöd …«
    Plötzlich hob sie den Kopf.
    »Wo ist denn eigentlich Ferdinand? … Stimmt es, daß er mit der Engländerin weg ist? …«
    Diese fahrige, quirlige Person war dauernd in Bewegung.
    Schon war sie wieder aufgesprungen, hatte sich auf einen Stuhl fallen lassen, doch kaum saß sie, da stand sie schon wieder auf, um ihrer Besucherin einen Sessel anzubieten.
    »Sie können das nicht verstehen … Aber ich will Ihnen mal was sagen, etwas, das Sie, wenn es soweit ist, vielleicht wiederholen müssen, denn ich hab nicht das Geld, um wieder heimzufliegen …«
    Emilienne hatte das peinliche Gefühl, in einen Ehekrach hineinzuplatzen, denn das war es ja im Grunde auch, obgleich nur einer der Partner anwesend war; doch gerade deshalb wirkte die ganze Szene um so unheimlicher.
    »Haben Sie Georges denn nicht gesehen? … Doch? … Welchen Eindruck hat er auf Sie gemacht? … Sagen Sie es ganz offen …«
    »Er hat ein wenig Fieber«, fiel Camille beschwichtigend ein.
    Sie entgegnete höhnisch:
    »Das meinte ich erst auch. Ich wollte ihn pflegen, aber mit jedem Tag wird es schlimmer. Ich will Ihnen mal sagen, was er hat: Er steht im Begriff, verrückt zu werden … Und ich auch! Ja, so ist es … Sie sehen, eine heitere Geschichte … Jetzt ist es schon soweit gekommen, daß ich mich frage, wer als erster den anderen umbringt …«
    »Sie übertreiben«, murmelte Emilienne, die es bedauerte, überhaupt hergekommen zu sein.
    »Verdammt nochmal! Das ist leicht gesagt … Versuchen Sie doch mal, acht Tage, nur eine Woche lang in diesem Haus zu leben … Kennen Sie Costemans? … Nein? … Und das giftige Weibsstück, seine Frau? … An dem ganzen Unglück sind nur die beiden schuld …«
    Sie redete und redete, ohne je Luft zu holen.
    »Ich kam mit den besten Vorsätzen her, und meine erste Sorge war, Madame Costemans meine Aufwartung zu machen. Sagen Sie selbst, es ist doch wirklich abscheulich, wenn einem am ersten Tag die Tür vor der Nase zugeschlagen wird, und das mit der schäbigen Ausrede, man würde später eingeladen. Wieso ist die mir über? Ihr Mann ist Administrator und Georges nur sein Stellvertreter? Na und? Aber jetzt wird mir alles klar. Sein Vorgänger hat es vorgezogen, seinen Abschied zu nehmen, die Kolonie zu verlassen, ohne eine Pension zu beziehen. Die Wahrheit ist, daß Costemans nie einen höheren Rang erreichen wird … Das ist mir erzählt worden. Er war in eine üble Geschichte verwickelt, und man hat ihn hierher versetzt, um ihn los zu sein. Er ist erst dreißig und weiß, daß er nie befördert werden wird, verstehen Sie? Seine

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