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Weißer Mann mit Brille

Weißer Mann mit Brille

Titel: Weißer Mann mit Brille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Ausgewogenheit der alten bürgerlichen Landsitze, behäbigen Bauten mit zwei Seitenflügeln, die sich an den Flußufern erheben und dem Betrachter das Gefühl vermitteln, sie würden seit undenklichen Zeiten dort stehen.
    Draußen war die Nacht zum Leben erwacht: Tiere, die ihr unbekannt waren, vollführten eine Musik, die sie ein wenig an das Zirpen der Zikaden erinnerte. Sie lauschte und stellte sich in Gedanken die Atmosphäre des Hauses vor, als sie noch in Frankreich war, sie sah Ferdinand vor sich, wie er sechs Jahre lang abends vom Tisch aufstand, die feinen Briefbogen vollschrieb und vor dem Einschlafen eine wirtschaftspolitische Abhandlung oder ein technisches Buch las.
    Camille schien ebenfalls seinen Träumereien nachzuhängen, denn er rührte sich nicht, kam nicht einmal auf den Gedanken, die bereits gestopfte Pfeife anzuzünden. Mücken tanzten um die elektrische Lampe. Lautlos räumte Balagi den Tisch ab, ihre bloßen Füße schienen den Boden nicht zu berühren.
    Plötzlich unterbrach ein Schluchzlaut die Stille. Emilienne verspürte darüber keine Scham!
    Sie stützte die Ellbogen auf den Tisch, verbarg ihr Gesicht in den Händen und weinte. Verstört blieb Baligi auf halbem Weg stehen, und Camille bedeutete ihr, in die Küche zurückzukehren.
    Emilienne hätte nicht zu erklären vermocht, was in ihr vorging. Noch am Morgen oder am Tag zuvor im Flugzeug hatte sie immer wieder versucht, sich Ferdinand zu vergegenwärtigen, aber sie sah nur ein verschwommenes, eher abstraktes als lebendiges Bild vor sich.
    Sie liebte ihn, daran bestand kein Zweifel. Sie hatte Moulins verlassen, um ihm nahe zu sein, um ihn nicht zu verlieren. Und sie war noch zu anderen Opfern bereit!
    Aber auch das war eher theoretisch.
    Jetzt aber, ganz plötzlich, nach einem Tag, der eine einzige Abfolge von Alpträumen war, jetzt, nach einem geruhsamen Abendessen, sah sie ihn leibhaftig vor sich, spürte seine Gegenwart am Tisch, in diesem Raum …
    Vielleicht begriff sie erst in diesem Augenblick Ferdinands wahre Natur, die sie bisher nur geahnt hatte.
    Camille machte nicht die geringste Bewegung, sagte kein Wort, um ihrem Schmerz nicht noch neue Nahrung zu geben.
    Sie weinte, bis sie außer Atem war, und doch taten ihr die Tränen wohl, denn sie vertrieben den bitteren Geschmack, den sie seit Tagen im Mund spürte.
    »Redete er manchmal von mir?« fragte sie. Als sie den Kopf hob, war ihr Gesicht feuerrot. Es erinnerte Camille an ihr Kleinmädchengesicht, wenn sie sich wehgetan hatte.
    »Jeden Tag.«
    »Was sagte er über mich?«
    »Er sagte:
    Wenn Emilienne da ist, müssen wir einen Eisschrank kommen lassen …
    Oder auch:
    Wir werden dir im Hof eine Hütte bauen. Dann hat Emilienne ihr eigenes Reich …«
    Sie schniefte.
    »Was sagte er sonst noch?«
    »Er hat einen großartigen Phonographen und eine ganze Kiste Schallplatten bestellt, die nächste Woche eintreffen werden. Nichts als klassische Musik. Wir haben schon eine Steckdose für den Plattenspieler eingebaut …«
    »Wo ist sie?«
    »Hinter Ihnen, rechts vom Kamin. Was ihm am meisten zu schaffen machte, waren die Backsteine …« Sie verstand ihn nicht.
    »Es war seine Idee, die Backsteinwände zu belassen, wie sie waren, statt sie zu bemalen oder zu tapezieren. Er fürchtete, daß Sie es hier zu kahl finden würden. Es wäre ihn sehr hart angekommen, Veränderungen vorzunehmen, da er doch alles eigenhändig gebaut hat …«
    »Ich finde Backstein auch schön«, sagte sie mit dem Anflug eines Lächelns.
    »Als er aus Frankreich kam, hat er mir erzählt, daß Sie Ihr Krankenschwesterdiplom gemacht haben, und er sprach davon, die Krankenstation umzubauen, denn er dachte, daß Sie dort einen Teil des Tages verbringen würden …«
    »Wie sagte er, wenn er von mir redete?«
    »Aber … Emilienne …«
    Camille blickte sie verwundert an.
    »Sagte er denn nie: ›Meine Braut?‹«
    »Niemals, schon eher:
    Wenn meine Frau kommt …«
    »Camille! Nein … Nichts …«
    Wieder kamen ihr die Tränen. Diesmal weinte sie still vor sich hin, holte ihr Taschentuch hervor.
    »Möchten Sie lieber allein sein?«
    Sie schüttelte den Kopf. Ihr lag daran, mit Camille zusammenzubleiben, wie Ferdinand es gehalten hatte, und gemeinsam mit ihm auf die vergehenden Stunden zu lauschen.
    »Was schreit denn da draußen?«
    »Eine Hyäne. Ferdinand hat versucht, sie auszurotten, aber es kommen immer wieder welche. Man gewöhnt sich daran …«
    Dennoch schauderte sie zusammen. Camille, der aufmerksam

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