Weißer Mond von Barbados
verstummt – für alle Zeiten verstummt.
Alles war anders geworden. Die Superklugen fanden es gut und schwammen eifrig mit im Strom des so genannten Fortschritts.
Aber die wirklich Klugen trauerten. Sie hassten diese verdammte Art des Fortschritts.
Irgendwann begriff man es. Irgendwo war der große Wendepunkt. Es war eine bittere Erfahrung, aber sie bewahrheitete sich immer wieder: Die Kinder der Revolution wurden eines Tages die stursten Reaktionäre.
Und hier saß er nun unter den entzauberten Sternen, unter dem geschändeten Mond und wußte, daß er, auch er, nun anfing, den Weg zurückzugehen. Auch wenn er es noch nicht ganz wahrhaben wollte.
Vielleicht hätte er nicht allein hierher fahren sollen. Vielleicht wäre es besser gewesen, eine Frau mitzunehmen. Aber er hatte nicht gewollt. Sein Körper war so müde wie sein schlafhungriges Gehirn. Es war auch zu leicht für ihn und reizte ihn nicht, er konnte immer Frauen haben, wenn er sie wollte.
Bisher war der Bungalow neben ihm leer gewesen, und er hatte gar nicht bemerkt, daß jemand eingezogen war. Aber nun war das Licht angegangen. Dann hörte er leise Geräusche. Jemand bewegte sich, ging hin und her, eine Tür schloß und öffnete sich, und dann ging die Balkontür auf, der Lichtstrom wurde breiter, eine Frau trat heraus, ging bis zum Geländer, lehnte sich daran und blickte auf das schwarze Meer hinaus, auf dem die silbernen Spuren des Mondlichts bis zum Horizont reichten. Eine schmale Gestalt – langes glattes Haar. Ihr Gesicht konnte er nicht sehen. Er verhielt sich ganz still, barg die Glut seiner Zigarette hinter der Lehne seines Stuhls.
Sie stand eine Weile regungslos, dann wandte sie sich um und ging wieder hinein. Schade. Er fühlte sich nicht – so einsam in seiner schlaflosen Nacht, wenn da noch jemand wachte.
Doch dann hörte er überrascht nach einer Weile, wie die Haustür des Bungalows zufiel. Ging sie so spät noch aus? Minuten danach hörte er die Bewegung des Wassers im Swimmingpool. Sie war also schwimmen gegangen.
Über der geschlossenen Bar brannte ein einzelnes Licht. Es wäre nicht nötig gewesen, denn der riesige weiße Mond hing da mitten im Himmel, umgeben von Sternen. Es war hell genug. Als Judith emporblickte, fiel ihr jedes gängige Klischee ein. Der Mond war wie eine große Perle, die Sterne wie Diamanten. Die Palmen wiegten sich im Wind, und die Grillen sangen. Es mochte Kitsch sein und total unmöglich – bis man es selber sah. Dann war es Wirklichkeit. Und man konnte es gar nicht anders beschreiben als mit den alten wohlbekannten Klischees.
Sie schwamm in langen Zügen auf und nieder, lässig, entspannt, genoß die Nacht, das Wasser und die schönen Worte, die schon immer dafür benutzt worden waren, und die neuen, die sie sich ausdachte.
»Gun Amd – schön Amd!« Es war der gleiche merkwürdige Akzent, den der Taxifahrer gesprochen hatte. Sie blickte auf und sah einen Mann mit einer Taschenlaterne, die Kappe in der Hand, am Beckenrand stehen.
»Guten Abend«, erwiderte Judith. »Sie sind sicher der Nachtportier.«
»Ja, Ma'm.«
»Ich wohne hier. Und ich konnte nicht schlafen. Es ist so eine schöne warme Nacht.«
»Ja, Ma'm«, sagte der Mann. »Is ziemlich warm.« Er setzte seine Kappe wieder auf, grüßte mit der Taschenlaterne und ging wieder fort.
Der schlaflose Mann, der ihr leise gefolgt war, stand im Schatten des letzten Bungalows und sah ihr zu, wie sie aus dem Wasser stieg und ihre langen Beine und den Körper mit einem Handtuch trockenrieb. Sie war jung, sie hatte ein schönes Gesicht.
Er wich lautlos zurück und war verschwunden, als sie den Pfad heraufkam.
Im Kühlschrank hatte er eine Flasche Whisky. Das war so eine von den amerikanischen Sitten, die er übernommen hatte. Er trank lieber Scotch als Wodka. Sicher würden seine Leute sagen, das sei die Wurzel allen Übels. Er lächelte vor sich hin, füllte sein Glas und ging wieder hinaus auf den Balkon. Kurz darauf wurde im Bungalow nebenan das Licht ausgelöscht.
In einem dafür bestimmten dunklen Raum im Keller der Sowjetbotschaft 1125, 16th, Washington D. C, wurde ein Mikrofilm entwickelt. Das dauerte einige Zeit, und der Vorgang wurde von zwei Angehörigen der Botschaft aufmerksam beobachtet. Das Ergebnis waren dreißig Seiten, maschinengeschrieben, mit handschriftlichen Anmerkungen versehen. Es waren Briefe vom State Department, einige stammten aus der Britischen Botschaft, und dann gab es noch einige Kopien von Memos aus dem
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