Weißer Mond von Barbados
sehr Schmerz, was sie empfand – mehr eine Art Schuldbewusstsein. Denn sie erkannte ziemlich schnell, daß sie ihn im Grunde nicht geliebt hatte.
Sie hatte die Hälfte seines Vermögens geerbt. Die andere Hälfte bekam eine Frau in Irland, die einen Sohn von ihm hatte. An Geld fehlte es also nicht.
Aber Judiths Leben war so leer. Vielleicht weil es vorher so rastlos gewesen war. Sie war froh, als sie den Job bei Nielson bekam, er war Direktor im Internationalen Sekretariat der UN, und sie wurde seine persönliche Mitarbeiterin. Das war vor vier Jahren gewesen.
In diesen vier Jahren war ihr eine ganze Reihe von Männern begegnet. Ein seriöser und dennoch charmanter Anwalt hatte ihr sogar einen Heiratsantrag gemacht. Judith hatte immer nein gesagt. Und es war offenbar typisch für sie; als sie schließlich ja sagte, war es der falsche Mann. Sie hatte bei der Wahl eines Liebhabers genauso wenig Talent bewiesen wie bei der Wahl eines Ehemannes.
Die Hitze traf sie wie ein Schlag, als sie die Gangway hinabstieg, sie schloß die Augen vor der blendenden Sonne. Doch gleich darauf spürte sie einen sanften Windhauch, der die Hitze linderte und die Brutalität der tropischen Sonne erträglich machte.
Der Flugplatz war sehr klein, nichts von der Hast und der Betriebsamkeit, die man sonst auf Flugplätzen antraf. Gemächlich wurde das Gepäck ausgeladen, gemächlich trödelten die Passagiere durch Zoll- und Passkontrolle, vorbei an einem riesigen farbigen Polizisten in schneeweißer Tropenkleidung, bunte Ordensbänder auf der breiten Brust, ein fröhliches Lächeln im dunklen Gesicht.
Plötzlich hatten sie alle Zeit, keinen störte es, daß er warten mußte, obwohl es nicht einmal Läden mit Souvenirs und zollfreier Ware gab, die man betrachten konnte. Auf einmal war die hektische Hast, die nervöse Spannung des amerikanischen Lebens von ihnen abgefallen und hatte einer lässigen Ferienstimmung Platz gemacht.
Nachdem Judith den Zoll passiert hatte, stand auch sie da und wartete auf ihr Gepäck. Anders als die meisten Frauen reiste sie nur mit leichtem Gepäck. Sie hatte nicht viel eingepackt, ein paar Sommerkleider, Badeanzüge, Strandkleidung. Das genügte. Keiner kannte sie hier, und sie hatte nicht die Absicht, sich weit vom Hotel zu entfernen.
Gerade am Tag bevor sie abreiste hatte Richard Paterson angerufen. Nancy Nielson war am Apparat und beschied ihn kurz, Judith sei nicht zu Hause. Ehe er noch etwas sagen oder fragen konnte, hatte sie den Hörer aufgelegt. Daran mußte Judith jetzt denken, als sie zum Ausgang des Flughafens ging. Nein – es war besser so gewesen. Warum sollte sie noch mit ihm sprechen?
Ein überwältigendes Gefühl der Erleichterung überkam sie. Es war wohl doch richtig gewesen zu verreisen. Die Entfernung schien alles schon leichter zu machen; seit sie den Fuß auf die Insel gesetzt hatte, fühlte sie sich wohler, das war gewiß nicht nur Einbildung.
Da stand wieder so ein weißgekleideter Polizist und lächelte sie an. Er war jung und prächtig gewachsen; niemals zuvor war ihr bewußt geworden, was für ein schöner Mensch so ein Farbiger sein konnte, wenn nichts an ihm verdorben war. Denn dieser hübsche Junge in seiner feschen Uniform war das Ergebnis einer Rassenintegration, die schon Generationen vor seiner Geburt stattgefunden hatte.
»Willkommen auf Barbados«, sagte er. »Da drüben stehen die Taxis.«
»Danke«, sagte Judith und lächelte ihn auch an. Es war das erste Mal seit Tagen, daß sie lächelte. »Vielen Dank.«
Die Insel war ein einziges Blumenmeer. Hibiskus, rosa und weißer Oleander, die prächtigen purpurnen Bögen der Bougainvillea, die von Mauern und Dächern herabfluteten, die scharlachroten Poinsettias, die hier als mächtige Büsche blühten, als Hecken die Straße leuchtend einrahmten, während man sie zu Hause höchstens während der Weihnachtszeit als kümmerliche Topfpflanze in einem Blumenladen entdecken konnte.
Der Taxifahrer schwatzte während der ganzen Fahrt, aber sein Akzent war so unmöglich, daß Judith kaum etwas verstand. Doch dann … das Meer! Weite unendliche Fläche, saphirblau mit schneeweißen Wellenkämmen. Und am Strand wuchsen die Palmen steil in den Himmel. Das Hotel schließlich war eine angenehme Überraschung. Es bestand aus vielen kleinen Bungalows, eingebettet in diesen blühenden tropischen Garten, den sie während der ganzen Fahrt vom Flugplatz her bewundert hatte.
Inmitten eines gepflegten Patios lag ein aquamarinblauer
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