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Weißer Schatten

Titel: Weißer Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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gelernt hatte – Menschen können es spüren, wenn jemand sie beobachtet. Normalerweise bin ich derjenige, der
     beobachtet, stetig auf der Suche nach möglichen Gefahren. Neun von zehn Mal bemerkte das Objekt meiner Neugier, dass es beobachte
     wurde. Es ist ein primitiver Instinkt, aber es gibt ihn. Manche Leute reagieren schnell, ihre Sinne sind gut entwickelt, ihre
     Reaktion ist entschlossen und aggressiv. Bei anderen dauert es länger, es ist ein systematisches Erwachen, zuerst sind sie
     unsicher und brauchen Bestätigung. Ich hatte gelernt, geschickter zu beobachten. Ich experimentierte mit Seitenblicken, dem
     Augenwinkel, dem erweiterten Blickfeld, und stellte fest, dass es keinen großen Unterschied machte. Die Beobachteten spüren
     das Interesse, nicht den Blick.
    Im Unterholz um mich herum begann das Tierreich sich zu rühren. Es war eine neue Abfolge von Insektenlauten, Vögeln und unidentifizierbaren
     Tieren, ein Rascheln der Blätter und Zweige. Mücken und Moskitos zeigten Interesse, aber das Abwehrmittel, das ich aufgetragen
     hatte, tat seine Pflicht.
    Zweimal stand ich langsam auf, um meine Glieder zu strecken und die Zirkulation in Schwung zu halten. Ich aß und trank, lauschte
     und schaute. Ich war mittlerweile ruhiger, wo |298| die Dinge in Bewegung gesetzt waren und eine neue Reihe Dominosteine stand. Ich fragte mich, wer den Ersten zum Fallen bringen
     würde?
    Ich dachte an Emma. Ich überlegte, wie schlecht ich sie eingeschätzt hatte, wie gefangen in meinen Vorurteilen ich gewesen
     war. Ich mag reiche Menschen nicht. Zum Teil ist es Neid, wie ich zugeben muss, aber es ist auch Erfahrung, denn ich habe
     sie die letzten achtzehn Jahre beobachtet. Erst waren es Wohlhabende, die Einfluss auf den Minister nehmen wollten, zuletzt
     waren es meine »Klienten«, wie Jeanette sie nennt. Der Großteil der Reichen waren Wichser, selbstgerecht und ichbezogen.
    Vor allem die reichen Afrikaaner.
    Mein Vater hatte ein paar vergilbte Fotos in einer flachen Teedose auf dem obersten Regal seines Schranks aufbewahrt. Zwei
     waren Bilder unserer Ahnen: mein Urgroßvater mit seinen drei Brüdern, vier bärtige Männer in weißen Hemden und Sakkos. Laut
     meinem Vater war das Foto zur Jahrhundertwende, nach dem Verlust der elterlichen Farm aufgenommen worden, als die Afrikaaner
     nichts hatten. Dem Schnitt und der Einfachheit ihrer Bekleidung konnte man die Armut der vier Lemmers ansehen. In ihrem Blick
     jedoch lagen Stolz, Entschlossenheit und Würde.
    Jahre später erinnerte ich mich an dieses Foto, als ich zum
Vleisfees
nach Calvinia fuhr, dem jährlichen Hammel-Festival. Es war eine spontane Entscheidung, ich war seit einem Jahr nicht mehr
     bei der Armee und wollte das Wochenende nicht in Seapoint verbringen. Ich hatte einen Artikel über das Festival gelesen und
     war einfach am Samstagmorgen losgefahren. Am Abend war ich wieder zu Hause, weil mir nicht gefallen hatte, was ich sah: Reiche
     Afrikaaner aus der Stadt, die brandneue blitzende Geländewagen fuhren, saßen da und tranken, sie waren um drei Uhr nachmittags
     besoffen, oder sie ließen ihre alkoholisierten Körper im Beat der ohrenbetäubenden Musik zucken, während ihre entsetzten Teenager-Kinder
     am Rand saßen. Ich stand da, dachte an die Fotos in der Teedose meines Vaters und wusste, dass Armut den Afrikaanern besser
     zu Gesicht stand.
    |299| Insofern muss ich Vorurteile gegen die Reichen eingestehen – auch gegen Emma.
    Vorurteile sind allerdings nur ein Abwehrmechanismus. Manche sind angeboren, die instinktive Suche nach den Enten aus
unserem
Teich, nach unsern nächsten genetischen Brüdern und Schwestern, wie die andauernde Wiederholung des Stammbaumes der Eingeborenen
     in Neuguinea. Es ist auch ungewollt die Ursache für alle Ismen, so absolut politisch inkorrekt und doch so sehr Teil unseres
     Wesens.
    Andere Vorurteile sind angelernt – diejenigen, die unserer Erfahrung entspringen, sind bloß ein Schutzschild. Wie ein Kind,
     das lernt, dass die hypnotische Flamme auch verbrennen kann, so lernen wir mit jeder menschlichen Interaktion, wir bilden
     Gedankenmuster aus Ursache und Wirkung, wir kategorisieren und ordnen ein, um dem Schmerz zu entgehen. Wir formulieren Gebote.
    Kleine Frauen bringen Ärger – das galt nicht nur für meine Mutter. Unsere Synapsen sind nicht so leicht zu programmieren.
     Es hatte andere gegeben, Mädchen in der Schule, Frauen, die ich aus persönlichen oder professionellen Gründen beobachtet

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