Weißer Schatten
hatte,
bis ich einen Rahmen hatte: Wenn sie klein und hübsch ist, bringt sie Ärger.
Ich lege mir die Dinge vernunftmäßig zurecht wie jeder andere auch, aber bei Emma gab es durchaus mildernde Umstände. Woher
sollte ich wissen, dass sie anders war? Es waren anfangs keine Gegenbeweise zu bemerken. Reich, nett und klein – warum sollte
sie
die Ausnahme sein? Es war nur klug, sich nicht mit ihr einzulassen, sondern eine professionelle Distanz zu wahren.
Und jetzt? Jetzt saß ich in der tiefen Dunkelheit des Dschungels, und die Grenzen zwischen persönlicher und professioneller
Einmischung hatten sich aufgelöst. Ich musste sie wieder aufrichten, um die Aufgabe zu beenden, die ich begonnen hatte: Emma
zu beschützen. Im Augenblick jedoch war das, was mich vor allem antrieb, Rache. Jemand musste für den Angriff auf meine Emma
bezahlen. Ich wollte ihr die Antworten auf ihre |300| Fragen bringen und sie mit einer Bitte um Vergebung zu ihren Füßen niederlegen und als ein Zeichen der … Anziehung.
Meine Emma.
Erst gestern hatte ich mit einer Fremden gevögelt.
Emma – ich hatte ihren schlafenden Körper in ihr Zimmer getragen, ich hatte sie in den Armen gehalten, und ich hatte ihr beim
Essen einen Teil von mir gezeigt, den nur Mona zuvor gesehen hatte. Ich hatte ihren blutenden Körper in dem Minibus-Taxi an
mich gedrückt in dem entsetzlichen Wissen, dass sie dabei war, ihr Leben auszuhauchen. Koos Taljaard hatte recht. Ich war
verliebt in Emma, in sie selbst, trotz ihrer Schönheit und ihres Reichtums. Trotz ihrer Klasse und ihres Intellekts konnte
sie mich mit echtem Interesse und Neugier fragen: »Wer sind Sie, Lemmer?« Nach dem Angriff am Kap hatte sie den Mut gehabt,
hierherzukommen und mehr wissen zu wollen. Sie glaubte trotz allem, dass Cobie ihr Bruder Jacobus war, ihr Blut.
Meine Emma, der ich letzte Nacht untreu gewesen war.
Ich hätte es kommen sehen müssen. Ich war enttäuscht von mir. Ich hätte die Gefahr und die Gelegenheit wahrnehmen müssen,
als Tertia sagte: »Sie haben sich geschlagen, Lemmer. Böser Junge.« Da war ein Flackern – diese Beobachtung hatte mit geisterhafter
Hand einen primitiven Schalter in ihrem Unterbewusstsein umgelegt. Frauen fürchten Gewalt. Sie hassen sie, aber ein Großteil
von ihnen hat auch eine Schwäche für die potentielle Gewalttätigkeit eines Mannes. Denn sie ist eine Möglichkeit, sein Recht
auf Reproduktion gegenüber anderen Männern zu verteidigen, seine Frau und seinen Nachwuchs vor Gefahren zu schützen. Mona
war es so gegangen. Während meiner Gerichtsverhandlung waren ein paar Frauen jeden Tag gekommen, um zuzuhören; sie saßen da
und starrten mich an, sie folgten der Zeugenaussage über den Kampf Wort für Wort.
Und Tertia – Sasha.
Ich hätte den Schlüssel mit dem blauäugigen Delphin zurück über die Bar schieben sollen. Ich hätte meinen Kopf benutzen sollen;
ich hätte ihre Vergangenheit besser einschätzen |301| sollen, ihre Schwächen, ihre bewussten Selbsttäuschungen mit Astrologie und Einhörnern. Diese Phantasien flogen mir ins Gesicht.
Sie standen im direkten Widerspruch zu meiner Philosophie, dass man die Wirklichkeit weder negieren noch ihr entkommen kann.
Ich hätte wissen sollen, dass ich nicht in der Lage sein würde, der Versuchung zu widerstehen.
Für mich wie für alle Männer ist die Möglichkeit, alle Hemmungen über Bord zu werfen, die ultimative Phantasie, die tödliche
Schlinge: die Frau, die ihre Ekstase laut herausschreit und zuckt wie ein wildes Pferd, deren Blick nichts verbirgt, die mehr
will und nicht fragt, sondern es sich mit dämonischer Entschlossenheit nimmt.
Tertia wollte mich, weil ich nicht offen interessiert war. Für sie war es die Bestätigung ihrer Macht, zu verführen, obwohl
die Zeit vergangen war, obwohl es länger dauerte und schwieriger war, ihren hübschen Körper in Form zu halten. Genauso war
es bei meiner Mutter gewesen. Vielleicht war es für Tertia eine Möglichkeit, ihrer langweiligen Existenz zu entrinnen. Vielleicht
wollte sie auch nur an Silvester jemand in den Armen halten. Oder wollte sie noch einen Tanz mit dem Teufel möglicher Gewalt
tanzen, mit einem Kämpfer, einem Söldner oder Schmuggler?
Als sie in meiner Tür stand und ihre Hüften und Brüste zeigte, hatte ich mich gefragt, wie lange ich schon gewusst hatte,
dass es so weit kommen würde. Und wann war mir klar gewesen, dass ich aufstehen und zu ihr hinübergehen würde?
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