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Weißer Schatten

Titel: Weißer Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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meinen Gedanken, meinen Bruder, meine Mutter, meinen Vater. Jeder braucht eine Familie
     … Und ich frage mich, bin ich hergekommen, um nach ihr zu suchen? Hat der Mann im Fernsehen wirklich wie Jacobus ausgesehen?
     Ich … ich bin nicht sicher. Aber ich kann auch nicht … dieser Anruf … Wenn Sie mich jetzt fragen, was der Mann gesagt hat,
     was ich wirklich gehört habe? Dafür braucht man einen Vater, um ihn zu fragen: Dad, tue ich … ist es das Richtige?«
    Mein Teller war leer. Ich legte erleichtert Messer und Gabel hin. Jetzt musste ich kein schlechtes Gewissen mehr haben, weil
     das Essen gut war, und ich es genoss, während Emma sich mit ihren Gefühlen abplagte. Aber ich konnte ihre Frage nicht beantworten.
     Also sagte ich: »Ihr Vater …« Nur eine kleine Ermutigung.
    Sie antwortete nicht gleich. Sie umschloss den Ring mit der Hand, schaute dann zu mir auf und sagte: »Er war der Sohn eines
     Heizers.«
    Ein Kellner nahm meinen Teller mit, und sie schob ihm ihren Salat hin und sagte: »Es tut mir leid, der Salat ist ausgezeichnet
     … aber mein Appetit …«
    »Kein Problem, Madam. Möchten Sie die Dessertkarte sehen?«
    »Sie sollten etwas bestellen, Lemmer.«
    »Nein, danke, ich habe genug.«
    »Kaffee? Likör?«
    Wir lehnten ab. Ich hoffte, dass Emma bereit war zu gehen. Sie legte den Serviettenring hin, wo ihr Teller gestanden hatte,
     und stützte ihre Ellenbogen auf den Tisch. »Es scheint, als hätten alle vergessen, wie arm viele Afrikaaner waren. Meine |56| Großmutter … sie hatte einen Gemüsegarten hinter dem Haus, und mein Großvater hatte einen Hühnerstall zwischen den Gleisen
     … das war nicht erlaubt, aber es gab keinen anderen Platz dafür. Es waren diese kleinen Eisenbahnhäuschen in Bloemfontein
     …«
    Sie erzählte mir ihre Familiengeschichte, der Aufstieg des Johannes Petrus le Roux. Ich vermutete, dass es eine altbekannte
     Saga war, die sie als Kind oft gehört hatte. Es war eine Möglichkeit für sie, eine Verbindung zu ihrer verlorenen Familie
     aufzubauen und zugleich sich selbst und ihre Ermittlungen in der Gegenwart erneut zu definieren.
    Ihr Vater war das zweitälteste von fünf Kindern gewesen, eine große Familie, die einen Heizer teuer zu stehen kam. Mit fünfzehn
     hatte er keine andere Wahl, als arbeiten zu gehen. Im ersten Jahr war er einfach nur Handlanger in den riesigen Hallen der
     SA Railways in Bloemfonteins East End; man konnte vom bescheidenen Heim seiner Eltern zwischen den Abstellgleisen hindurch
     dorthin laufen. Am Ende jeder Woche händigte er den Umschlag mit seinem mageren Verdienst seiner Mutter aus. Jeden Abend wusch
     er sein einziges Arbeitshemd und hängte es vor den Kohleofen zum Trocknen. Mit sechzehn begann er seine Ausbildung zum Mechaniker
     und Dreher, etwas, das ihn interessierte.
    Ein kleines Wunder nahm seinen Lauf. Johan le Roux und seine Ausbilder bemerkten Stück für Stück, dass er einen Instinkt für
     Zahnradgetriebe hatte. Als er seine Lehre als Mechaniker abgeschlossen hatte, waren seine Fähigkeiten bereits allseits anerkannt,
     und seine Lösungen in einem Dutzend verschiedener Triebwerke sparten der Bahn Tausende.
    Eines Sommermorgens im Jahr 1956 kamen zwei Afrikaaner-Geschäftsleute aus Bothaville in die große Werkstatt. Über den Lärm
     des Hämmerns, Feilens und Schneidens hinweg riefen sie, dass sie nach einem gewissen le Roux
boy’tjie
suchten, der sich so gut mit Getrieben auskannte. Sie bauten Arbeitsgeräte für die Maisbauern im nördlichen Freistaat und
     benötigten seine Fähigkeiten, um mit den teuren Maschinen |57| konkurrieren zu können, die aus Amerika und Großbritannien importiert wurden.
    Sein Vater, der Heizer, war dagegen. Der Staat war ein zuverlässiger Arbeitgeber, eine Versicherung gegen Depression, Krieg
     und Armut. Die private Wirtschaft wurde von Engländern, Juden und Ausländern bestimmt, sie alle wollten seiner Meinung nach
     nur die Buren betrügen; es war ein großes Risiko. »Pa, ich kann meine eigenen Sachen entwerfen. Ich kann selbst die Pläne
     zeichnen, die Formen schneiden und die Maschinen Stück für Stück zusammensetzen. Das kann ich bei der Eisenbahn nicht«, war
     sein Argument. Ende des Monats verließ er die Züge für ein Städtchen am Vals River, wo die Götter bereit waren, ihn anzulächeln.
    Er war alles, was seine neuen Arbeitgeber sich von ihm erhofft hatten – arbeitsam, entschlossen und einfallsreich. Seine Ideen
     waren innovativ, seine Produkte

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