Weißer Schatten
nicht verdecken konnte. Sie versuchte zu lächeln, hatte aber Mühe.
»Wenn ich Afrikaans mit Ihnen spräche, gäbe es diesen Augenblick … Sie würde sagen: ›Oh, sind Sie Afrikaans?‹ und überrascht
tun, dabei wüssten wir alle, dass sie es die ganze Zeit gewusst hatte, und dann wäre da dieser Augenblick von … Unbehagen
…« Emma versuchte zu lächeln, aber es gelang ihr nicht. »Und das ist typisch für Afrikaaner, wir meiden immer die Unannehmlichkeiten.«
Bevor ich mir eine Antwort überlegen konnte, wandte sie sich wieder der Weinkarte zu und fragte entschlossen: »Heute Abend
trinken wir Wein … Was hätten Sie gern?«
»Äh … Ich bin im Dienst, danke.«
»Nein, nicht heute Abend. Weiß oder rot?«
»Ich bin eigentlich kein Weintrinker.«
»Ein Bier?«
»Eine rote Traubenschorle wäre schön, danke.«
»Trinken Sie überhaupt?«
»Keinen Alkohol.« Ich war darauf angewiesen, dass sie nicht weiter fragte; wie bei der Afrikaans-Frage gab es auch hier reichlich
Möglichkeiten einer Antwort, die Unbehagen verursachen konnte. Aber ich hatte unrecht, wie mit den meisten meiner Annahmen
über Emma.
»Ist es eine Prinzipienfrage?«, fragte sie vorsichtig.
»Eigentlich nicht.«
Emma schüttelte den Kopf.
»Was?«, fragte ich.
Sie brauchte einen Moment für die Antwort, als müsste sie Kraft sammeln.
»Sie sind ein Rätsel, Lemmer. Ich habe mich immer gefragt, was das bedeuten soll, wenn ich irgendwo gelesen habe, dass jemand
ein Rätsel sei, aber jetzt weiß ich es.«
Vielleicht lag es daran, dass sie mich als »still und öde« bezeichnet hatte. Vielleicht wollte ich auch nur ihre Laune bessern,
jedenfalls sagte ich: »Erklären Sie mir mal, was so toll am Alkohol ist, denn ich verstehe es nicht.«
|142| »Jetzt sagen Sie nicht, das sei die Einladung zu einem echten Gespräch, Lemmer?«
»Sie haben gesagt, ich sei heute Abend nicht im Dienst.«
»Ah«, sagte sie und legte die Weinkarte hin. »Sehr schön.« Sie schaute den Kerzenhalter zwischen uns an, holte tief Luft und
begann zu sprechen, erst langsam, sie suchte nach den richtigen Worten. »Ich mag Rotwein. Ich mag die Namen. Shiraz. Cabernet.
Merlot. Pinotage. Sie rollen einem angenehm von der Zunge, sie klingen so … geheimnisvoll. Und ich liebe die komplexen Aromen.
Die Noten haben etwas Geheimnisvolles an sich …« Dann hastiger: »Es ist, als segelte man auf einem Handelsweg vorbei an Inseln
voller Früchte und Gewürze – man kann die Inseln nie sehen, aber wegen der Aromen, die über das Wasser wehen, kann man vermuten,
wie sie aussehen – exotisch, voll leuchtender Farben, mit dichten Wäldern, und schöne Menschen tanzen im Licht des Feuers
… Ich liebe die Farben und wie unterschiedlich sie im Licht der Sonne oder einer Kerze aussehen. Und ich liebe den Geschmack,
denn er zwingt mich, wirklich zu schmecken, mich auf diesen Augenblick zu konzentrieren, ihn auf der Zunge zergehen zu lassen.
Und ich mag alles, wofür er steht … die Bonhomie, die Anwesenheit von Freunden. Es ist ein gesellschaftliches Symbol, das
besagt, dass wir uns gut genug miteinander verstehen, um gemeinsam ein Glas Wein zu trinken. Ich fühle mich dann zivilisiert
… und bin dankbar, über das Privileg zu verfügen, etwas zu genießen, das mit so viel Sorgfalt, Wissen und Begabung hergestellt
worden ist. So, und jetzt können Sie mir sagen, was daran nicht gut ist.«
Ich schüttelte den Kopf. »Wein schmeckt nicht gut … Es ist nicht so schlimm wie Whisky, aber schlimmer als Bier. Bei weitem
nicht so angenehm wie Traubensaft. Traubensaft ist nicht abgehoben, obwohl der auch im Sonnenlicht und Kerzenschein verschieden
aussieht. Süßwein ist die Ausnahme, aber den trinkt niemand mit Kultur, nicht einmal eine gute Spätlese. Warum nicht? Ganz
einfach, weil er nicht denselben Status genießt. Und das ist die ganze Antwort. Status – es ist |143| eine alte Geschichte. Unsere Zivilisation stammt aus Mesopotamien, aber dort wuchsen keine Trauben. Die Mesopotamier machten
Bier aus Getreide, und das tranken alle. Aber die Reichen wollten nicht trinken, was alle tranken. Also importieren sie Wein
aus den Hochländern des Iran. Weil der mehr kostete, weil die gemeinen Leute ihn sich nicht leisten konnten, gewann er an
Status, ganz egal, wie er schmeckte. Und so begann der Mythos, dass Wein etwas für die kultivierte Zunge, für den wohlhabenden
Geschmack ist. Achttausend Jahre später glauben wir das
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