Weisser Schrecken
Und keinen Laut! Wenn das jemand aus Perchtal ist, erkennt der uns sonst noch.« Bevor Robert seinen Freund aufhalten konnte, hatte sich dieser auch schon die Skimaske über den Kopf gezogen und schlich zurück. Robert sah Andys dunklen Schatten gegen das Zwielicht, das aus der Kapelle in den Hauptgang fiel. Ihm war zum wiederholten Male in dieser Nacht angst und bange zumute. Wer auch immer sich hier unten zu ihnen gesellt hatte, ganz sicher war er ihnen nicht freundlich gesonnen. Auch er zog sich die Skimaske über das Gesicht und hastete vorsichtig hinter Andy her. Der hatte bereits das Ende des Seitentunnels erreicht. Drüben aus der Kapelle war derweil ein leises Quietschen zu hören, aus dem Robert schloss, dass der oder die Fremde gerade das Stativ zusammenklappte. Andy gab ihm einen raschen Wink und verschwand im Hauptgang. Robert folgte ihm mit angehaltenem Atem und versuchte dennoch einen Blick in das benachbarte Tonnengewölbe zu werfen. Dort lag eine helle Stabtaschenlampe am Boden, deren Schein bis hinüber zu einer der Heiligenstatuen reichte. Leider war von der oder dem Unbekannten nur ein breiter Schatten zu sehen, der unruhig über das Gewölbe huschte.
Die eigentliche Schwierigkeit lag noch vor ihnen. Das Restlicht aus dem Kapellengewölbe reichte kaum aus, um den Hauptgang zu erhellen. Zwar hatten sich Roberts Augen inzwischen an die Finsternis gewöhnt, doch waren die Katakomben nun so dunkel, dass sie sich in winzigen Schritten vorantasten mussten, um nicht Gefahr zu laufen, links oder rechts gegen irgendwelche Grabnischen zu stoßen oder mit den harten Sohlen ihrer Skistiefel Geräusche zu hinterlassen. Aus welchem der Seitengänge sie den Hauptgang betreten hatten, vermochte er schon gar nicht zu sagen. Blind auf Andy vertrauend, folgte er dessen vagem Umriss, der plötzlich nach links abbog. Andy schaltete seine Taschenlampe nun doch wieder an, nur dass er sie fast zur Gänze mit der Hand abdeckte. Standhaft die aufgestapelten Menschenknochen in den vielen Nischen ignorierend, tasteten sie sich weiter voran, als die Astleiter endlich in Sicht kam. Robert hätte am liebsten einen Freudenschrei ausgestoßen, als es unter seinen Sohlen laut knackte. Er war mit seinem Skistiefel auf einen herumliegenden Fingerknochen getreten. Andy wirbelte herum und auch Robert konnte nun hören, wie die Geräusche hinten in der unterirdischen Nikolauskapelle verstummten. Stattdessen flutete jetzt grelles Taschenlampenlicht den Hauptgang.
Sie waren entdeckt worden!
Drau ßen vom Walde
Andreas packte seinen Freund an der Jacke und schob ihn ungestüm zur Astleiter, während hinter ihnen Stiefelschritte durch die Katakombe dröhnten. Verdammt, wer war der Typ? Strobel?
»Hoch! Schnell!«, zischte er. Robert rutschte vor Aufregung von einer Sprosse, fing sich und kletterte, als wäre der Teufel selbst hinter ihnen her. Die improvisierte Astleiter knarrte hässlich, und einem Moment lang befürchtete Andreas, dass einzelne Sprossen herausbrechen könnten. Doch die Konstruktion war solider, als sie aussah. Auch er warf sich auf die Leiter, kaum, dass Robert Platz gemacht hatte, als er von gleißendem Lichtschein geblendet wurde. Ein wütender Aufschrei hallte verzerrt an seine Ohren, und der Unbekannte rannte geduckt auf ihn zu. Knochen prasselten aus den Nischen zu Boden, und ein Totenschädel zerplatzte unter den Stiefelschritten. Andreas kletterte die Leiter zum Gewölbe über ihm hinauf, wo bereits Robert stand, um ihm hochzuhelfen. Doch die rettende Öffnung in den Brunnenschacht war noch einige Meter entfernt.
»Raus!«, zischte Andreas. »Ich halte ihn auf.«
»Vergiss es, entweder wir beide oder keiner!« Gemeinsam versuchten sie sich nun daran, die Leiter aus dem Schacht zu ziehen. Doch das war einfacher gedacht als getan. Das verfluchte Astwerk verkantete sich im Erdreich, kurz darauf spürten sie einen Ruck, da ihr Verfolger die Leiter nun seinerseits packte und wieder zu sich herab zog. Augenblicke später ächzten die unteren Sprossen, und eine dunkle Gestalt mit schwarzer Wollmütze, die sie beide mit einem starken Lichtstrahl blendete, kletterte geschwind zu ihnen nach oben. Andreas wich dem Lichtstrahl aus und trat zu, kaum, dass Arm und Kopf des Unbekannten in dem Loch vor ihnen auftauchten. Die Taschenlampe des Fremden wurde in eine der Raumecken geschleudert, doch er selbst war flink. Andreas spürte den festen Griff behandschuhter Finger, die sich in sein Hosenbein krallten. Voller Angst
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