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Weisser Schrecken

Weisser Schrecken

Titel: Weisser Schrecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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stellten aufwendige Fresken an den Wänden die Wundertaten des Heiligen dar. Die Stirnseite der Halle aber wurde von einer gewaltigen Steinplatte geziert, auf die mit übergroßen Buchstaben eine lateinische Inschrift gemeißelt war:
    Die, puer, haec verba:
    Nicolae sanete, qui sis ortus a corde Dei,
    patronus liberorum, ora pro nobis! aeeipe sacrificium meum in perpetuum,
    dona mihi vires ad sacrum meum,
    quod mihi tribuendum constitutum est.
    me prohibe ab omnibus viis ac mentibus pravis!
    aperi oculos meos voluntati Dei,
    sed aures meas Claude adversus id, quod malum mihi insusurrat,
    ut mei relinquant incolumes.
    fac praemium mihi detur in coelis.
    amen.
    »Mist, kannst du das lesen?«, fragte Robert atemlos. Andy runzelte die Stirn. »Weiß nicht, das Erste da oben heißt wohl so was wie ›Diese Worte sprich mein Kind‹. Der Rest … Mann, du weißt doch selbst, dass ich in Latein genauso schlecht bin wie du. Irgendwas mit dem heiligen Nikolaus. Aber es ist offenbar so interessant, dass sich auch andere dafür interessiert haben.« Er beleuchtete ein modernes Kamerastativ, das nicht weit von ihnen entfernt an der Gewölbewand stand. Es erhob sich direkt neben einem aufgeklappten Lederkoffer, in dem ein Blitzlichtgerät, Batterien sowie ein Belichtungsmesser verstaut waren. Leider war die Kamera auf dem Stativ entfernt worden. »Was soll das Ding hier unten?«, fragte Robert.
    »Keine Ahnung. Offenbar haben Konrad und die anderen Aufnahmen von dem Raum gemacht.«
    »Und wozu?«
    Andy zuckte mit den Schultern und überprüfte mittels des Aufsatzes und des kleinen Schwenkarms die Richtung, auf die das Objektiv der fehlenden Kamera ausgerichtet worden war. »Konrad scheint die Inschrift abfotografiert zu haben«, klärte er Robert auf. »Und wenn die für ihn interessant war, dann muss sie es auch für uns sein.« Andy kramte in seiner Jacke und verzog enttäuscht das Gesicht. »Hast du was zum Schreiben dabei?«
    »Nee, leider nicht.« Robert kniete kurzerhand neben dem Fotokoffer nieder und kramte darin herum. Immerhin, er fand einen Kugelschreiber sowie die Gebrauchsanleitung der Kamera. »Soll ich das da oben abschreiben?«, fragte er mit Blick auf die große Steintafel.
    Sein Freund nickte. »Ja. Das lassen wir uns später von Niklas übersetzen.«
    Robert seufzte und kritzelte die Inschrift Buchstabe für Buchstabe in den Einband der Gebrauchsanleitung. Er hatte soeben das Wort »Amen« übertragen, als weiter hinter ihnen, aus dem Gang zu den Katakomben, leise Knarrlaute zu hören waren. Robert versteifte sich vor Schreck, und Andy deckte hastig seine Taschenlampe ab, sodass sie jetzt nur noch von einem beunruhigenden Zwielicht umgeben waren. Den Knarrlauten folgte ein entferntes Poltern, wie Knochen, die auf Steine fielen. Robert verstaute die Bedienungsanleitung hastig und zückte die Brechstange, während er mit pochenden Herzen weiter in die Dunkelheit lauschte. Scheiße, wo konnte man sich hier verstecken? Vielleicht hinter den Nikolausstatuen? Er rechnete bereits mit allem, als weiter hinten im Hauptgang der Katakombe Lichtschein aufflammte. Eine Taschenlampe! Was auch immer da nahte, es schien ein Mensch zu sein.
    Andy legte einen Finger an die Lippen und zog Robert mit sich zum Hauptgang. War sein Kumpel wahnsinnig geworden? Von dort kam der oder die Unbekannte doch. Erst als ihn Andy mit sich in den nächsten abzweigenden Seitengang mit weiteren Nischen führte, in denen Schädelteile, Kiefer, Zähne und zerbissene Langknochen lagen, begriff Robert, welchen Plan sein Freund verfolgte.
    Sie schlichen möglichst weit nach hinten. Dort schaltete Andy die Taschenlampe endgültig aus und bedeutete Robert, sich zu ducken. Atemlos lauschten sie auf die knirschenden Schritte, die sich dem Kapellengewölbe nun von rechts näherten. Wenig später flammte am Ende des Seitenganges der Lichtschein einer Taschenlampe auf, und sie erkannten im Hauptgang die dunkle Silhouette eines Erwachsenen. Doch die Gestalt marschierte ebenso schnell vorbei, wie sie aufgetaucht war. Den hallenden Geräuschen nach zu urteilen, betrat sie jetzt die unterirdische Basilika.
    »Das ist auf gar keinen Fall Konrad«, wisperte Robert Andy so leise wie möglich ins Ohr. Der schnaubte zustimmend. »Machen wir, dass wir hier wegkommen«, flüsterte er zurück. »Und zwar bevor der Kerl auf die Idee kommt, einer der Leitern nach oben zu entfernen. Im Moment ist er abgelenkt, wir können also versuchen, hinter seinem Rücken zu entwischen.

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