Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weisser Schrecken

Weisser Schrecken

Titel: Weisser Schrecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
Vom Netzwerk:
heute kennen, eine Erfindung von der Getränkefirma Coca-Cola ist. Dabei ist es wohl eher so, dass die Vorstellung vom roten Gewand und dem weißen Rauschebart auf die Figur des Sinterklaas zurückgeht, den holländische Auswanderer mit nach Amerika brachten. Er wurde aber erst seit den Dreißigern des 20. Jahrhunderts überall auf der Welt in seiner rotweißen Tracht bekannt. Der Bart, der Sack mit den Geschenken und die Rute sind aber schon im 19. Jahrhundert bekannt gewesen. Er vereint in Wahrheit gute und böse Elemente der Folklore in sich. Einmal der gutmütige heilige St. Nikolaus, der als Freund der Kinder gilt. Auf der anderen Seite sein böser Gegenspieler, der strafende Knecht Ruprecht, die zusammen aber angeblich erst seit dem 16. Jahrhundert auftreten. Also schon ziemlich lange her. Wenn man genauer nachliest, dann sieht man, dass die dunkle Seite des Weihnachtsmanns überwiegt, was sich besonders bei den Einkehrbräuchen um den Nikolaustag herum überall im deutschsprachigen Raum zeigt. Denn dann werden in Süddeutschland und in Österreich Feste gefeiert, bei denen der gabenbringende Nikolaus zusammen mit unheimlichen Schreckgestalten auftritt, von denen man nicht genau weiß, woher sie eigentlich stammen: die sogenannten Perchten. Sie sind so zahlreich, dass man glaubt, sie würden dem heidnischen Glauben an Dämonen und Totengeister entstammen, die in der germanischen Mythologie ursprünglich in den Raunächten ihr Unwesen getrieben haben, vor allem am Nikolaustag, Christfest, Neujahrstag und Dreikönigstag.
    Der schrecklichste von ihnen ist der Krampus, der woanders in Deutschland Knecht Ruprecht genannt wird und wieder woanders Pelzmärte, Klaubauf, Hans Muff, Bullerklas oder Sünnerklas heißt. Wieder woanders nennt man ihn Pelz-Precht oder Pelz-Percht. Auf jeden Fall ist er der Böse, der die Kinder straft, und ist im ganzen alpenländischen Raum bekannt. Er ist ein echter Kinderschreck, wie auch der Chindlifresser, also der Kinderfresser, den man zum Beispiel in Bern an einem Brunnen sehen kann. Kindern, die nicht artig waren, hat man früher gedroht, dass der Kinderfresser sie dann mitnehmen, auspeitschen und auffressen würde. Kein Wunder, dass die Krampusse, die beim Buttnmandllauf hier in Berchtesgaden mitlaufen, wie Teufel aussehen. Auch bei anderen Krampusläufen werden sie wie Teufel dargestellt, genau wie bei uns in Perchtal. Das Krampuslaufen findet jedenfalls überall in der ersten Raunacht vom 5. zum 6. Dezember statt. Es gibt sogar weibliche Krampusse wie das hessische Fraachen oder die bayerische Butzenbercht, von denen ich aber noch nie gehört habe. Die ziehen angeblich in schwarzen Lumpen gekleidet mit einem Topf voller Mehl durch die Straßen und bewerfen damit die Zuschauer. Es heißt, die Teufel in Begleitung des Heiligen St. Nikolaus sollen echte Dämonen täuschen, damit die denken, sie müssten nicht mehr kommen.
    »Mann, ich hab mir wegen des Krampuslaufs nie richtig Gedanken gemacht«, meinte Andy. Robert starrte wieder das silberne Messer an. »Ja, fast so, als wolle uns jemand genau darauf aufmerksam machen …« Andy neben ihm legte das Schulheft beiseite und griff nach einer alten Einladungskarte mit christlichen Motiven. »Hör mal, was hier steht: Wir laden euch herzlich zur heiligen Kommunion unseres Sohnes Stefan ein und bitten alle Freunde und Bekannten, ihn auf diesem Weg zu begleiten. Wir sehen uns am 5. Mai 1971 um 9.00 Uhr in der alten St. Nikolauskirche von Perchtal, wo Pfarrer Strobel die Messe halten wird. Anschließend kommen wir bei uns zu einer gemeinsamen Feier zusammen.« Andy schnaubte. »Sieh einmal an, Strobel kannte deinen Bruder also.«
    »Ja, sieht so aus.« Robert nahm Andy die Karte aus der Hand. »Nikolauskirche«, murmelte er nachdenklich.
    »Ja, unsere Kirche hier in Perchtal.« Andy sah ihn an
    »Das weiß ich«, antwortete Robert. »Ich muss nur gerade an etwas anderes denken. Weißt du eigentlich, dass der heilige Nikolaus von Myra einst ein Bischof war? Wann, weiß ich nicht genau, aber dem zu Ehren feiern wir doch morgen das Nikolausfest.«
    »Und?«
    »Na hör mal«, fuhr Robert erregt fort. »Denk doch nur an diese Erscheinungen gestern auf dem Friedhof, die Niklas gesehen haben will. Er meinte, dass sie Bischofsgewänder trugen. Ebenso wie die Gestalt, die ich gestern im Fernseher gesehen habe.«
    »Vielleicht habt ihr zwei euch das mit den Bischofsgewändern auch bloß eingebildet?«
    »Eingebildet?«, brauste Robert auf. »Wir

Weitere Kostenlose Bücher