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Weisser Schrecken

Weisser Schrecken

Titel: Weisser Schrecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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ihnen.
    »Zum alten Kohlenkeller. Da steht heute der Warmwasserboiler«, antwortete ihm Andreas leise. Mit einem unbehaglichen Gefühl im Bauch ging er an seinen Fahrrädern vorbei und drückte die Tür zum Nachbarraum auf. Hässlich kratzte sie über den Betonboden. Im ehemaligen Kohlenkeller herrschte diffuses Zwielicht, dafür war er deutlich wärmer als der Vorraum. Soeben heizte dort der große, blaue Warmwasserboiler wieder mit Gas an. Andreas und Robert beachteten ihn nicht weiter. Ihr Interesse galt vielmehr den aufgestapelten Umzugskartons an den Wänden rechts und links der Tür. Sofort machten sich die Jungs an die Arbeit. Alte Akten der Firma kamen in den Kartons ebenso um Vorschein wie ausrangierte Bücher, Geschirr sowie ein alter Plattenspieler. Sogar ein zusammengefaltetes Schlauchboot ließ sich in einer der Kisten finden. Plötzlich hielt Robert inne. Er rückte eine der geöffneten Kisten beiseite und griff hinter den Boiler. Dort lehnte ein schwerer, länglicher Gegenstand gegen die Kellerwand, der von Stoff umhüllt und zweifach mit Kordel umwickelt war. Er schnürte die Umstrickung auf und schob die Stoffbahn beiseite. Darunter kam eine alte Jagdflinte zum Vorschein. »He, sieh mal.« Andreas wurde blass. Er hatte nicht gewusst, dass sein Vater das teuflische Ding aufbewahrt hatte.
    »Stell das wieder zurück.«
    »Wieso denn. Das ist doch …«
    »Ich sagte, stell das wieder zurück!« Andreas nahm Robert die Waffe wütend aus der Hand. Hastig verschnürte er sie wieder und stellte sie zurück.
    »Oh, Mann. Tut mir leid.« Robert sah ihm bestürzt dabei zu. »Ist das die Waffe, mit der sich deine Mutter …?«
    »Nicht!« Andreas hob eine Hand und stellte damit klar, dass er nicht gewillt war, über den Selbstmord seiner Mutter zu sprechen. »Lass uns die restlichen Kisten durchsuchen. Wir sind wegen etwas anderem hier.«
    »Klar.« Robert nickte hastig und öffnete ein paar aufeinander gestapelte Schuhschachteln, die mit Oster- und Weihnachtsschmuck gefüllt waren. Andreas griff schweigend zur letzten Kiste. Sie war unbeschriftet, doch ihr Inhalt ließ ihn innehalten. Ganz zuoberst lag ein Haufen Bücher von Karl May. Aufgeregt nahm er sie heraus und fand unter ihnen weitere Bücher und Spielsachen, die er nicht kannte: Legoschachteln, Einzelteile einer alten Carrera-Rennbahn, Ritter-, Indianer- und Cowboyfiguren, eine abgegriffene Monopoly-Schachtel, ein Fußball, aus dem schon lange die Luft gewichen war, und vieles andere mehr. Robert eilte zu ihm, um ihm beim Auspacken zu helfen. Weiter unten stießen sie nun auf Schulbücher, die denen aus dem verborgenen Zimmer der Mädchen glichen. Endlich wurde die Vermutung zur Gewissheit. In einem der Bücher fand sich der Namenszug Michael Meyenberg.
    »Mann, ich fasse es nicht«, ächzte Andreas. Ganz unten im Karton lag ein aufgerissener Briefumschlag, der an Michael Meyenberg adressiert war. Absender war die Gemeindebücherei Perchtal. »Wusstest du, dass wir hier in Perchtal mal eine Gemeindebücherei hatten?«, fragte er.
    »Nö. Muss wohl schon länger her sein.« Robert blätterte längst einen aufwendig gestalteten Bildband durch. Andreas zog den Brief aus dem Umschlag. Es handelte sich um eine Mahnung: Sie haben die Ausleihfrist für den Band »Brauchtümer des Alpenlands« (Reg.Nr. B-5Y-466) überschritten. Bitte bringen Sie das Buch bis zum 3. Januar 1979 zurück, sonst müssen wir eine Strafgebühr von 1,50 DM erheben. Andreas tippte sich gegen die Nase. »Datiert ist dieses Schreiben auf den 1. Dezember 1978, und unterzeichnet wurde es von einer Frau mit Namen Maria Stadler. Wenn mein Bruder den Brief geöffnet hat, muss der ihn um den dritten oder vierten Dezember noch empfangen haben. So schnell ist die Post ja nicht.« Er sah zu Robert auf, der ihm nur mit halbem Ohr zuhörte. »Ist das dieses Buch?«
    »Das hier?« Robert hielt den Band in seinen Händen so, dass Andreas Aufnahmen von verkleideten Burschen in aufwendig gestalteten Tierkostümen und Monstermasken sehen konnte. Die Bilder wechselten sich ab mit Fotographien unheimlich wirkender Teufelsgestalten, die sehr dem legendären Yeti ähnelten. »Nee, das Buch trägt den Titel ›Buttnmandllauf und Perchtenzüge‹«
    »Und, steht was Interessantes drin?«, wollte Andreas wissen.
    »Na ja.« Robert strich über seinen Iro. »Hier drin geht es um diese heidnischen Perchten, wie sie auch in dem Schulaufsatz meines Bruders über den Nikolaus und den Krampus vorkommen. Angeblich

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