Weißer Teufel
Doch letzten Endes kamen sie zu dem Schluss, dass sie nichts gegen Sir Alan unternehmen konnten.
»Ihr Hauptziel ist, Andrew vom Lot fernzuhalten. Ob er sich im Three Arrows aufhält oder hier, spielt keine große Rolle«, meinte Fawkes. »Jute wird nicht mehr Krach schlagen, als er es bereits getan hat.«
»Es wäre ja noch schöner, wenn sie die Polizei anrufen und mich des Kidnappings bezichtigen«, schäumte Dr. Kahn. »Muss sich Andrew auf dem Dachboden verstecken wie Anne Frank?«
»Die Polizei wird sich nicht einschalten. Für sie ist das eine interne Schulangelegenheit – selbst wenn Sir Alan sie anruft, was ich bezweifle.«
»Sie sind schrecklich rational für jemanden, der gerade gefeuert wurde.«
Fawkes lächelte dünn. »Ich hab’s kommen sehen.«
»Ich habe nie mit meinen Eltern telefoniert«, sagte Andrew. »Was, wenn sich Sir Alan mit Ihnen in Verbindung setzt?«
Fawkes schüttelte den Kopf. »Er geht bestimmt davon aus, dass ich längst mit ihnen gesprochen habe. In diesem Punkt irrt er sich.« Dr. Kahn sah ihn fragend an. »Nach unserem Besuch in der Klinik, verschwand Andrew nach Cambridge«, erklärte Fawkes, »dank Ihnen, Judy. Mir erschien der Zeitpunkt unpassend.«
»Soll ich sie jetzt anrufen?«, bot Andrew an. »Bei uns zu Hause ist gerade Mittagszeit.«
»Nein«, entschied Fawkes. »Wir brauchen noch vierundzwanzig Stunden. Wenn du krank wirst, informieren wir sie unverzüglich.«
»Wie beruhigend«, bemerkte Dr. Kahn. »Und was wollen wir in vierundzwanzig Stunden erreichen?«
»Andrew wird herausfinden, wen Harness getötet hat. Father Peter wird das Lot segnen. Wir werden Harness los. Das kann man in vierundzwanzig Stunden bewerkstelligen, oder nicht?« Fawkes stand auf – jetzt war er dran, in dem kleinen Wohnzimmer auf und ab zu gehen. »Aber irgendetwas nagt an mir. Als hätte ich etwas verlegt oder vergessen.«
»Was haben Sie gesagt, kurz bevor Sir Alan seinen Auftritt hatte?«, fragte Dr. Kahn. »Sie hatten ein Blatt Papier in der Hand.« Sie schob Andrews Ausdrucke, die über den Tisch verstreut waren, hin und her.
»Es ging darum, dass das Mordopfer beides – Junge und Mädchen – sei«, warf Andrew ein.
»Danke, ja!«, rief Fawkes aus. »Ja ja.« Er warf sich aufs Sofa und suchte den richtigen Ausdruck. Er überflog die Seiten, brummte hin und wieder: Nein, nein, dann schüttelte er eine Zigarette aus dem Päckchen und steckte sie zwischen die Lippen. »Ich hab’s«, sagte er. »Covent Garden!«
»Das haben Sie vorhin gesagt«, bestätigte Andrew.
Fawkes zündete die Zigarette an, ohne den Blick von dem Papier loszureißen. » September 1808. Ausschweifungen in London. Dinner in Mrs. Moroneys Bordell in Covent Garden . Gott segne Reggie Cade. Das ist es. Das ist es!«
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, uns ins Bild zu setzen?«, fragte Dr. Kahn.
Fawkes lehnte sich zurück. »Nachdem er Cambridge verlassen hatte, erlebte Byron eine, sagen wir mal, unappetitliche Phase. Vielleicht hatte er ein gebrochenes Herz, weil er gezwungen war, sich von Harness zu trennen. Vielleicht war er aber auch nur zwanzig Jahre alt, gelangweilt und reich. Oder beides. Er lungerte mit Preisboxern und zwielichtigem Gesindel herum. Er lieh sich überall Geld – bei Juden, bei seiner Hauswirtin –, um sich und sein Gefolge ständig mit Alkohol zu versorgen. Eines Abends gab er eine kleine Party im Covent Garden . Vier Freunde. Sieben Nutten. Das habe ich mir gemerkt. Ein erstklassiges Verhältnis.« Fawkes grinste. »Wie auch immer – in dieser Nacht lernte er eine Hure kennen. Er mochte sie wirklich sehr. Also kaufte er sie kurzerhand.«
»Wie eine Sklavin?«, fragte Dr. Kahn.
»Mehr oder weniger. Byron befreite sie von ihren Verpflichtungen der Puffmutter gegenüber. Die Puffmutter war, wie ich annehme, Mrs. Moroney«, sagte er nach einem Blick auf den Ausdruck. »Das Mädchen hieß Mary. Mary Cameron. Klingelt da etwas bei dir, Andrew ?«
Andrew schüttelte den Kopf.
»Byron hat sie in einem Gedicht verewigt. An Mary – ich habe dir davon erzählt, es wurde aus Byrons erster Gedichtsammlung herausgenommen, weil es ›zu lüstern‹ war. And smile to think how oft were done, What prudes declare a sin to act is .«
Andrew erinnerte sich vage. »Aber was hat das mit Harness zu tun?«
»Byron hat sich aufrichtig in die Hure verliebt. Sie lebten zusammen in einer Wohnung wie ein modernes Liebespaar.Das bedeutete, dass sie den lieben langen Tag vögelten.
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