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Weißer Teufel

Weißer Teufel

Titel: Weißer Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Evans
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Entschuldigung, Judy. Er schrieb ein paar echt schmutzige Briefe darüber und auch einige ziemlich zärtliche Verse. Es geht um Brüste und darum, wie er sie im Schlaf beobachtet  – lyrisches Zeug über güldene Tressen.«
    »Aber Harness hat nie eine Hure oder ein Mädchen an Byrons Seite erwähnt«, gab Andrew zu bedenken.
    »Das ergibt einen Sinn.« Fawkes nickte.
    Dr. Kahn verzog das Gesicht. »Was ergibt einen Sinn?«
    »Für Byrons vornehme Cambridge-Freunde war die Liaison mit Mary ein Skandal, und sie versuchten, sie zu vertuschen. Wenn sie in Byrons Wohnung kamen, wurden sie von der Straßendirne empfangen, als wäre sie Lady Byron. Byron wollte sie heiraten. Sich über alle gesellschaftlichen Grenzen hinwegsetzen. Undenkbar zur damaligen Zeit. Seine Freunde erklärten ihn für verrückt. Wenn Byron sie schon nicht zu seiner legitimen Gefährtin machen konnte, musste er sich etwas anderes einfallen lassen, um sie in seiner Nähe zu halten. Byron brachte sie zu Freunden in Brighton …«
    »Die Reise nach Brighton erwähnt Harness in seinen Briefen«, unterbrach Andrew.
    » … und Mary war als Junge verkleidet . Er gab vor, sie sei sein Cousin. Byron nahm in Begleitung einer Hure mit grässlichem Cockney-Akzent den Tee in den Salons auf dem Lande ein. Und die arme Mary konnte sich nie merken, welche Tarnung Byron für sie ersonnen hatte. Sie sprach von ihm immer als ihrem Bruder. Es gibt Hinweise darauf in Briefen. Die reinste Farce. Es ist schwer, Byron nicht zu mögen, wenn man solche Geschichten hört.«
    »Warten Sie«, bat Andrew. »Sie sagen, der Rivale wareine Prostituierte in Männerkleidern? Kein Junge? Harness war nicht richtig informiert?«
    Fawkes hob beide Hände. »Harness ist einem Irrtum erlegen.«
    »Was ist aus Mary geworden?«, fragte Dr. Kahn.
    »Sie ist von der Bildfläche verschwunden. Die meisten Biografen vermuten, dass Byron sie zurück in die Gosse geschickt hat. Dass er von ihr gelangweilt war, wie es so oft vorkam.«
    »Könnte sie Harness’ Mordopfer gewesen sein?«
    Fawkes dachte darüber nach. »Es spricht nichts dagegen.«
    »Es würde den Aufzug des Opfers erklären«, sinnierte Dr. Kahn.
    »Ja, aber das tote Mädchen war hier, in Harrow. Am Speech Day«, wandte Andrew ein. »Hätte Byron wirklich eine Straßendirne mit nach Harrow genommen?«
    »Er hat sie überallhin mitgenommen.«
    »Es wäre rührend, wenn er es getan hätte«, meinte Dr. Kahn. »Eine Geliebte mit in die alte Schule nehmen  – eine rührselige Geste.«
    »Er wollte sie heiraten«, erinnerte Fawkes sie.
    »Ja«, stimmte Andrew zu. »Und stattdessen findet er sie nach einem Besäufnis mit seinen Freunden am Speech Day tot in dem Inn.«
    Sie sannen über diese Tragödie nach. »Woher wissen Sie das alles, Piers?«, fragte Dr. Kahn nach einer Weile.
    »Mary war eine der Kandidatinnen, die ich in meinem Stück als Byrons große Liebe nennen wollte. In meinem Arbeitszimmer liegt eine Akte über sie.«
    »Aber sie kommt in Ihrem Stück gar nicht vor«, stellte Andrew fest.
    Fawkes lächelte reumütig. »Harness ist nicht der Einzige, der Mary Cameron unterschätzt hat.«
    »Sexismus in Reinform«, schnaubte Dr. Kahn.
    »Allerdings sollte man nicht zu viel Gewicht auf das legen, was ich sage. Es ist nur … Hintergrund. Eine literaturhistorische Anekdote. Andrew ist derjenige, der sie gesehen hat. Stimmt’s, Andrew ? Was meinst du, könnte sie die Tote sein?«
    Widerwillig rief sich Andrew die Kampfszenen, die er mit eigenen Augen beobachtet hatte, ins Gedächtnis; ein Kampf um Leben und Tod.
    Wer sind Sie? – mit eindeutiger Cockney-Klangfärbung.
    Sie hatte eine schmale Stupsnase, einen Mund in der Form eines Vogels im Flug. Ihre Wangen waren fleckig geworden während des Ringkampfes; in den Augen schimmerte nackte Angst, dennoch hatte sie etwas Verschlagenes an sich, als wüsste sie, wie man sich behaupten konnte. Und in dem Augenblick, in dem sie begriff, dass sie ihrem Angreifer unterlegen war, konnte sie offensichtlich kaum fassen, dass diesmal ihre Überlebenskünste, die sie jahrelang verfeinert hatte und die ihr bisher immer geholfen hatten, versagten.
    Und die Leiche. Die Brüste, die so respektlos entblößt wurden  – jung und klein. Andrew schauderte. Er hatte unsicher vor Mary Camerons misshandeltem Körper gestanden. Ihre Haare enthüllten ihr Geheimnis. Er hatte alles mit angesehen und nicht geholfen. Er war lediglich ein Voyeur gewesen.
    »Sie war es«, sagte er. »Obwohl es weit

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