Weißer Teufel
den Besuch des Jungen angekündigt, aber er ist nie hier erschienen. Wir haben keine Ahnung, wo er steckt. Womöglich ist er mittlerweile ins Lot zurückgekehrt.«
»Wir kommen gerade von dort«, sagte Pickles. Er sah müde aus und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten.
»Vielleicht isst er irgendwo etwas oder gönnt sich ein Bier«, erwiderte Dr. Kahn scharf. »Er ist ein Teenager, kein Kleinkind. Er taucht schon wieder auf.«
»Sie scheint es kaltzulassen, dass er die Tuberkuloseerreger überall verbreiten könnte, Dr. Kahn. Ich bezweifle, dass die Behörden Ihre Gelassenheit teilen. Herumlaufen, in einem Lokal essen und in der Öffentlichkeit atmen – das sind genau die Dinge, die er nicht tun sollte. Für Sie ist das vermutlich einfach – Sie haben keine kranke Tochter. Was ist mit Ihnen, Fawkes? Irgendwelche Theorien, wo sich der Junge herumtreiben könnte?«
»Keine.« Fawkes machte noch immer den Eindruck, als hätte er große Lust, ein Stück aus Sir Alan herauszubeißen.
»Nun, ich habe eine.« Sir Alan nahm den Tonfall eines Anwalts an, der einen Zeugen ins Kreuzverhör nimmt, um seine schwache Aussage zu widerlegen. »Andrew Taylor,ein arroganter amerikanischer Schüler, beschließt, gegen die Anweisungen der Schule und die Empfehlung der Gesundheitsbehörde zu verstoßen und trotz des Risikos, das er für andere darstellt, nicht im Three Arrows zu bleiben. Lieber besucht er eine Freundin. Diese Freundin «, fügte Sir Alan mit einem Nicken in Dr. Kahns Richtung hinzu, »gibt ihm ein Sandwich.« Der Teller mit der Brotkruste stand noch auf dem Couchtisch. »Diese Freundin hört, dass jemand von der Health Protection Agency vor ihrer Tür steht, und versteckt ihren Besucher in einem der Zimmer im ersten Stock.« Er deutete nach oben. »Und die Freundin schaltet das Licht ein, während der Vertreter der Gesundheitsbehörde noch vor ihrem Haus steht und das Fenster sehen kann. Nicht gerade ein durchdachter Plan. Vielleicht ist die Freundin nicht so klug, wie sie sich gibt.«
Dr. Kahn lief hochrot an. »Hinaus, Alan .«
»Lassen Sie mich zu ihm«, verlangte er.
»Ich sagte: Hinaus .«
»Führen Sie mich hinauf. Dr. Kahn. Ich möchte mir das Zimmer ansehen.« Er plusterte sich wütend auf, als wollte er an ihr vorbei in die obere Etage rennen.
»Sir Alan!«, schrie Dr. Kahn. »Verschwinden Sie aus meinem Haus, oder ich rufe die Polizei!«
»Nur zu«, höhnte er. »Dann finden die ihn. Daran hätte ich selbst denken können.«
» Piers «, flehte Dr. Kahn.
Fawkes stellte sich in die Mitte der Diele. Aber Sir Alan schnaubte: »Sie bitten einen Poeten, mich zurückzuhalten? Ich würde Sie in der Luft zerreißen, Piers, mit Freuden.« Seine Augen blitzten. »Aber so weit muss ich gar nicht gehen. Sie sind gefeuert, Piers!«
»Was?«
»Mit sofortiger Wirkung.«
»Dazu sind Sie nicht befugt«, wehrte sich Fawkes fassungslos.
Sir Alan grinste. »Sie haben recht. Das bin ich nicht. Aber der Rektor hat das bereits beschlossen. Als ich ihm erzählte, was vorgefallen ist, hat er keine fünf Sekunden für diese Entscheidung gebraucht.«
Er kehrte ihnen den Rücken zu und stürmte hinaus. Pickles stolperte ihm hinterher. Auf dem Gehweg blieb Sir Alan stehen und schaute zu dem Fenster in der oberen Etage.
»Du hast dich mit der falschen Familie angelegt!«, brüllte er.
Dr. Kahn eilte zur Haustür. »Sir Alan! Hören Sie auf damit!«
Aber er war in Rage. »Du solltest Persephone jetzt sehen«, schrie er. »Sie hat kaum noch Leben in sich. Deinetwegen.« Oben rührte sich nichts. »Ich weiß, was du getan hast«, tobte er weiter. »Ich habe mit Persephone gesprochen. Ja, ich weiß alles. Du bist ein widerlicher Drogen-Abschaum!« Mit deser Beschimpfung marschierte er zu dem Auto am Ende des Gehwegs. Dann drehte er sich noch einmal um. »Wissen seine Eltern, wo er ist, Dr. Kahn? Haben Sie ihre Erlaubnis? Sie beide haben heute Abend viele Verfehlungen auf sich geladen – wollen Sie auch noch eine Anklage wegen Entführung riskieren?«
Er stieg ein und startete den Motor, er wartete gerade so lange, bis Pickles auf den Beifahrersitz sprang, dann raste er mit quietschenden Reifen los. Im Nebenhaus ging das Verandalicht an, und der besorgte Nachbar kam heraus, um nach dem Rechten zu sehen.
»Kommen Sie«, raunte Dr. Kahn und zog den perplexen Fawkes ins Haus.
23
Der Freikauf einer Hure
Die drei gingen abwechselnd in Dr. Kahns Wohnzimmer auf und ab und ließen sich mutlos aufs Sofa fallen.
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