Weißer Teufel
Allerdings können wir eines mit Sicherheit sagen: Sie ist nicht übertragbar … und so weiter und so fort. Der Rektor schniefte. Nicht übertragbar – das war schon besser: autoritativ, beruhigend. Das würden die Jungs an ihre Eltern weitergeben.
Sollte der Leichnam auf dem Campus mit einer besonderen Trauerfeier bestattet werden?
Nein, die Eltern hatten eine Überführung nach Johannesburg veranlasst.
Fielen irgendwelche Schultage aus?
Das Ziel der Schulleitung war, den Alltag der Schüler nicht mehr als nötig zu stören.
Der Rektor entspannte sich. Jetzt lief es besser. Sie befanden sich auf der Zielgeraden. Er zählte die Minuten und wartete auf die Gelegenheit, die Versammlung zu beenden. Selbstbewusst wie ein Talkshowmoderator rief er die Jungs auf, die sich zu Wort meldeten, und genoss es beinahe. Bis er ein mageres Bürschchen ganz hinten zum Reden aufforderte.
»Das klingt nach Tuberkulose«, rief der Junge.
Das war keine Frage; das war eine Handgranate. Allewaren wie vom Donner gerührt. Der Rektor plusterte sich auf wie ein Ochsenfrosch. Das … du … , stammelte er.
Jetzt war es an dem Arzt, dem Rektor zu Hilfe zu kommen. Tuberkulose, erklärte er lässig, komme in England nur ausgesprochen selten vor. Im Clementine Churchill Hospital war seit Jahren kein einziger Fall mehr bekannt geworden. Die Krankheit war so gut wie ausgerottet …
»Aber Theo kam aus Afrika. In Afrika gibt es Millionen Tuberkulosefälle«, schoss der Junge zurück. »Ich war im letzten Sommer dort. Überall stehen Schilder, dass das Spucken auf den Boden verboten ist.«
Aufgeregtes Gemurmel wurde laut. Theodore Ryder hatte keine Tuberkulose. Ihr habt den Rechtsmediziner gehört. Vielen Dank, Mr. Ross-Collins. Dies war die letzte Frage. Der Rektor schubste den Doktor beinahe mit einem Hüftschwung vom Podium und wechselte zu unverfänglicheren Themen. Die Schule würde der Familie einen Kranz schicken und im Namen des Jungen eine Spende für einen wohltätigen Zweck veranlassen. Der Schulbetrieb sollte morgen wieder anlaufen. Mr. Moreton würde am nächsten Tag mit einer Gruppe das Musical Hairspray im West End besuchen. Ich danke euch allen. Ihr könnt gehen .
Als sie ins Freie kamen, ließ der Morgenhimmel die ersten dicken Tropfen des Tages wie Steine fallen und bombardierte die Hutkrempen der Schüler, die aus dem Speech Room strömten. Alle beschäftigten sich mit der eigenartigen Versammlung und insbesondere mit dem letzten provokanten Wortwechsel. Noch ehe die Vorhut der Horde fünfzig Meter weit gekommen war, prasselte der heftige Regen wie Artilleriefeuer auf den Hügel nieder. Die Jungen hielten ihre Hüte und Hefte über ihre Köpfe undsprinteten zu ihren jeweiligen Wohnhäusern. Andrew ließ sich Zeit und stellte sich in einem Hauseingang unter. Doch der Regen ließ nicht nach. Es goss wie aus Kübeln. Irgendwann lief Andrew los und kam vollkommen durchnässt im Lot an. In der Lobby standen die Jungs in Gruppen zusammen und debattierten über die Schulversammlung. Einige erhoben ihre Stimmen über den allgemeinen Pegel; manche sahen sich unsicher um, als rechneten sie damit, dass jemand mit Neuigkeiten durch die Tür stürmen könnte. Auch wenn es keiner aussprach, fühlten es alle: Niemand hatte eine solche Erklärung vom Rechtsmediziner erwartet. Lungenvolumen? Ersticken? Sie schauderten und wischten sich den Regen aus den Gesichtern .
Vaz hörte abrupt auf zu reden, als Andrew hereinkam, und die anderen folgten seinem Beispiel. Andrew blieb stehen, er spürte Vaz’ stechenden Blick. Im Grunde hätte Andrew Triumph empfinden sollen: Seht ihr? Ich hab euch doch gesagt, dass es nicht um Drogen ging und dass ich nichts damit zu tun habe! Doch das alles war nicht wichtig, wurde ihm jetzt klar. In Vaz’ Augen war er der Sündenbock. Ein windiger, verschlagener Drogendealer. Andrews Vergangenheit war ans Licht gekommen, und jetzt wurde er danach beurteilt. Er gehörte nicht nach Harrow, das sagte ihm der Blick aus den schwarzen Augen. Er war hier unerwünscht. Ein Eindringling.
Plötzlich starrten alle Anwesenden auf einen Punkt hinter Andrew.
Er drehte sich um und sah den unglücklich wirkenden Piers Fawkes in einem feuchten Trenchcoat; er führte zwei Erwachsene in die Lobby. Einen bärenhaften Mann mit faltigem, sonnenverbranntem Gesicht und schwarzem Regenmantel. Eine Frau mit sorgfältig gelocktem,aber feucht gewordenem und von der Sonne ausgebleichtem Haar. Die Züge im Gesicht der Frau kamen
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