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Weißer Teufel

Weißer Teufel

Titel: Weißer Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Evans
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vor.
    Das Buch –  Ausgewählte Gedichte von Lord Byron   – hatte ein grünes Cover und roch muffig. Er überflog die Zeilen. Dies war kein romantisches Zeug von Bäumen, Bergen und dürftiger Erleuchtung. Es war etwas anderes.Er sah auf. Dieselben zwei Gesichter: Fawkes, der abwechselnd an seiner Zigarette zog und von seinem Martini trank, Persephone, deren finstere Miene verschwunden war.
    Er fing an.
    »I had a dream«, deklamierte er.
    Seine beiden Zuhörer kicherten. Andrew wurde rot.
    »Lies ganz normal«, sagte Fawkes. »Mit deiner normalen Stimme.«
    Andrew schluckte. » I had a dream «, wiederholte er, »Which was not all a dream …«
    Das Gedicht begann volltönend, autoritativ, lebhaft wie ein Bericht aus einem Kriegsgebiet.

    … The bright sun was extinguished, and the stars
    Did wander darkling in eternal space,
    Rayless and pathless, and the icy Earth
    Swung bind and lackening in the moonless air.
    Ein solches Gedicht hatte Andrew noch nie gelesen: ein Horror-Poem, das sich Zeile für Zeile zu einer sinnlosen Tragödie entfaltete, in der normale Menschen ihrer Menschlichkeit beraubt und auf ihr animalisches Selbst reduziert wurden. Es war eine Beschreibung, scheinbar aus erster Hand, des Verfalls der Welt; des Übergangs von einem fruchtbaren grünen Lebensraum zu einem kargen Felsbrocken mit Vulkanen und Finsternis, in der es kaum Nahrung gab und man ums Überleben kämpfen musste. No Love was left , las er. Und als er zum Ende kam –  the waves were dead   –, schwankte er wie hypnotisiert vom Rhythmus – the winds were withered in the stagnant air ; er war benommen, weil er keine Luft holte und schwer getroffenwar von der Gewalt des Gedichts. Er hob den Blick und war beinahe überrascht, das Apartment und nicht die öde Landschaft zu sehen. Darkness had no need of them, endete das Gedicht, und Andrew deklamierte wieder die letzten Worte, ohne es zu wollen, während er Persephone in die Augen schaute:
    » … She was the Universe.«
    Persephones Gesicht hatte jede Spannung verloren. Fawkes rauchte, an seiner Zigarette hing ein langes Aschestück. Andrew wurde unsicher. Hatte er es vermasselt? Zu schnell oder zu undeutlich gesprochen? Ein- oder zweimal hatte er genuschelt – er war an Dosenbier, nicht aber an Schnaps gewöhnt  – und sich verflucht, weil er den Martini angenommen hatte. Ärger und Verlegenheit erstickten ihn fast.
    Fawkes wusste, dass er sich später aufregen würde, weil ihn ein Rotzlöffel als abgehalfterten Schriftsteller entlarvt hatte. Dabei brachte ihn nicht so sehr die Frechheit des Jungen auf (so etwas schätzte Fawkes im Prinzip), sondern vielmehr die Tatsache, dass er selbst so leicht zu durchschauen war. Dieser Halbwüchsige konnte von der Straße in seine Wohnung marschieren und ihn nach ein paar unbedachten Äußerungen analysieren. Als mittelmäßig und festgefahren outen. Das alles stimmte. Und dass er nicht schrieb –  oder nichts Gutes schreiben konnte  –, machte ihm mehr zu schaffen als sein Scheitern im Job. Verdammter Jute, dachte er wohl zum elften Mal an diesem Tag, aber dieses Mal war es kein wütender Fluch, sondern eher eine Zurückweisung. Was war Jute schon verglichen mit einer Schreibblockade? Mit dem Wissen, dass man nur schwaches Zeug fertigbrachte und nicht imstande war, mehrQualität zu produzieren? Die Poesie war immer Fawkes ̛ private Schatzkammer gewesen, das Geheimnis, das er inmitten einer Festung hütete, wo man suchte und suchte und endlich das Metall von unsichtbarem Wert fand: das kleine, wahrhaftige Bröckchen Erkenntnis – ein Stück von einem Dialog, einen Vergleich, ein Bild, das einen beinahe an den Tod erinnerte wie ein sentimentaler Schnappschuss. In der Zeit gefangen, um einen daran zu erinnern, wie schnell sie verflog. Aber das Byron-Stück – es widersetzte sich. Bis jetzt. Bis er Andrew gesehen hatte. Es war fast Betrug. Jemand lud die DVD mit Byron-Dokumentationen auf und erlaubte Fawkes, den echten Mann ( Jungen) zu beobachten, der mit einer wackeligen Videocam auf dem Harrow-Gelände verfolgt wurde. Fawkes hörte zu – their feeble breath blew for a little life and made an flame – und spürte, wie er die Treppe in seiner Festung hinabstieg, fröstelnd und unsicher, aber mit angehaltenem Atem. Jetzt war er überzeugt, dass er durch diesen eigenartigen, schmollenden Amerikaner einen goldenen Lichtstreifen unter einer Tür sah, dass er die Schatzkammer gefunden hatte.
    Ein langer Moment verstrich.

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