Weißer Teufel
beharrlichsten Seite und drängte sich an ihm vorbei in den Flur. Fawkes spürte, wie ihm seine Entschlossenheit entglitt. Sie und dieser dumme Junge verstellten ihm den Fluchtweg. Und er war kurz davor, ihr das auch zu sagen.
Dann sah Fawkes das Gesicht. Zuerst hatte er es, abgelenkt durch seine Gedanken, nicht wahrgenommen. Jetzt jedoch schreckte er zurück.
Der Junge schaute ihn an. Haarsträhnen hingen ihm über die Augen, und noch registrierte er nicht, dass er angestarrt wurde. Er hatte langes Haar, was die Wirkung noch verstärkte. Fawkes umfasste instinktiv die Türklinke, um etwas Kaltes, Reales in der Hand zu haben.
Persephone beobachtete ihn grinsend.
»Es ist Ihnen aufgefallen. Ha! Ich hab Sie erwischt, Fawkesy.«
Fawkes antwortete nicht. Er glotzte nur. Das bleiche Gesicht des Jungen. Der Mund – rot, rund, die Unterlippe hatte einen erotischen Schwung und glich einem Rosenblatt, das kurz davor war abzufallen. Und dann die Augen. Grau wie die eines Wolfs. Diese Augen, bemerkte er, während er in die Realität zurückkehrte und ihm dämmerte, dass er ein lebendes atmendes Individuum betrachtete, nicht ein Porträt oder eine Erscheinung – diese Augen waren düster, ängstlich, unstet. Das übliche Bedürfnis eines Jugendlichen, gepaart mit einer Warnung.
»Wer bist du?«, brachte Fawkes heraus. »Ich bin Piers Fawkes.«
»Ich weiß. Sie sind mein Hausvater.«
»Du bist Amerikaner.« Das war eine Feststellung. »Warte. Der Amerikaner! O Gott. Du hast Theo gefunden.«
Der Junge spannte sich an. »Ja«, erwiderte er vorsichtig.
»Ich hatte vor, nach dir zu sehen. Ich fühle mich schrecklich. Es war eine scheußliche Woche. Insbesondere für dich.«
»Scheußlich«, wiederholte Persephone ungehalten. »Aber wir sind zum Vorsprechen hier.«
»Vorsprechen?«
»Für das Stück. Unser Stück«, betonte Persephone. »Sie haben die Ähnlichkeit mit Byron gesehen, stimmt’s?«
»Außergewöhnlich.«
»Und Sie haben meine Nachricht erhalten? Ich wusste, dass Sie Ihre E-Mails nicht checken.«
Fawkes warf einen schuldbewussten Blick auf die Magazine, Zeitungen und ungeöffneten Briefe, die sich auf dem Esstisch häuften.
»Um Himmels willen«, schäumte Persephone.
»Hört zu, Leute. Weshalb ihr auch immer hergekommen seid, es war ein langer Tag. Wenn ihr bleiben wollt, wie wär’s dann mit einem Drink?«
Andrew hielt einen kalten, duftenden Martini in der Hand und fragte sich, was die Schulordnung dazu sagte, dass ein Minderjähriger, der vor kurzem beinahe gelyncht worden war, weil er unter dem Verdacht stand, ein Drogendealer zu sein, in der Wohnung seines Hausvaters Gin trank. Wardas … erlaubt? Offensichtlich schon. Persephone auf dem Sofa zog die bloßen Füße unter sich und knabberte an der Zitronenschale, die Fawkes geschickt abgeschält hatte, während er aus der Küche mit ihnen geplaudert hatte. Andrew hatte sich in dem Apartment umgesehen. Hübsch geschnitten mit einem Esszimmer mit angrenzendem Patio und einer schwarz-weiß gekachelten kleinen Küche. Aber die Unordnung glich beinahe einer Müllhalde. Zeitungen waren über die Sofapolster verstreut. Auf einem modernen weißen Schreibtisch lagen Briefe, Zeitschriften, ein Laptop, aufgeschlagene Bücher mit gebrochenen Rücken, ein schnurloses Telefon, zwei Kaffeetassen, ein voller Aschenbecher, ein Fläschchen Advil, ein schmutziger Teller mit schmutziger Gabel und einer zusammengeknüllten Serviette. Dann nahm Andrew Fawkes in Augenschein. Seine Aufmachung bestätigte Andrews Eindruck, den er im Speech Room gewonnen hatte: Piers Fawkes hatte in letzter Zeit wenig geschlafen. Er hatte braune Ringe unter den blutunterlaufenen Augen, seine Klamotten waren verknittert, die Hände zitterten. Er schien kaum noch Reserven zu haben. Piers Fawkes war ein Wrack.
»Du willst also Lord Byron spielen?«, fragte Fawkes.
Andrew murmelte: »Ja, ich schätze schon.«
Fawkes wandte sich an Persephone. »Ist er immer so enthusiastisch?«
»Er ist Amerikaner«, antwortete sie. »Die sind lakonisch.«
»Ich dachte, sie sind temperamentvoll und naiv.«
»Ich will die Rolle«, schaltete sich Andrew ein, entschlossen, für sich selbst zu sprechen. »Sehe ich wirklich aus wie er?«
»Schau’s dir selbst an.«
Fawkes nahm ein Buch von seinem Schreibtisch und drückte es Andrew in die Hände, blätterte die Seiten für ihn um, bis er die Abbildungstafel fand. Sie enthielt viele Porträts von einem dunkelhaarigen jungen Mann in
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