Weißer Teufel
in seinem Schlafzimmer aushalten? Im nächsten Moment ging ihm ein Licht auf – dieses Gefühl, diese Wolke hat sich nicht in meinem Arbeitszimmer festgesetzt, dachte er voller Mitgefühl und Angst, sie folgt dem Jungen. Dem Amerikaner.
Fawkes sank nachdenklich auf sein Sofa. Gott, was für eine grässliche Vorstellung. Wie konnte er das arme Kind beschützen?
Doch während er dasaß, eine zweite Zigarette rauchte und noch eine, änderte sich die Richtung seiner Gedanken. Er drückte die dritte Zigarette aus. Zauderte. Dann nahm er sein Telefon und wählte eine Londoner Nummer. Er sprach mit einer Sekretärin. Dann war er gezwungen, etliche Minuten zu warten. Schließlich rief er freudig : »Tomasina! Hier ist noch mal Piers. Erinnern Sie sich an mein Stück über …? Richtig. Es gibt da einen Aspekt, den ich dämlicherweise nicht erwähnt habe. Ich war eitel, wie gewöhnlich, und hoffte, dass die Poesie allein ausreichenwürde. Aber was, wenn es auch ein wissenschaftliches Element gibt? Ich habe neues Material über eine von Byrons Liebschaften gefunden – über einen homosexuellen Liebhaber. Es ist gerade erst ans Licht gekommen. Also können wir die Publikation des Theaterstücks sozusagen in eine literarische Entdeckung verpacken.«
Tomasina wollte wissen, ob die Geschichte dokumentiert und wirklich neu war.
»Brandneu«, antwortete er. »Ich arbeite an der Dokumentation, aber ich bin hier an der Quelle, in der Harrow School, die Byron besucht hat. Und die Story, na ja … wie es scheint, hat einer von Byrons kleinen Freunden, der auch in Harrow in die Schule gegangen ist und sein Gespiele war, einen Mord begangen. Davon wurde bis jetzt nie etwas bekannt.«
Tomasinas Begeisterung war geweckt, und sie dachte laut über eine Werbekampagne nach. Wir machen es zu einem wissenschaftlichen und zu einem literarischen Ereignis. Zu einer Story außerhalb des Buches …
Fawkes grinste und ließ sie reden. Er ging mit dem Telefon am Ohr in die Küche und goss sich, während sie plapperte, einen Drink ein.
Die Geschichte der Antike fühlte sich an wie eine Zwangsjacke. Boudicca, Schutzwälle, Kriege mit Speeren und der literarische Stil von Tacitus … Sir Alan Vine grinste sich durch die Unterrichtsstunde und überflutete die Klasse mit der Säure seiner nasalen Stimme. Andrew saß an seinem Pult in den Leaf Schools – so benannt, weil das kleine Ziegelgebäude am bewaldeten Nordhang des Hügels stand. Er träumte und betrachtete die Bäume. Ihr Laub schien vergiftet in den Herbst gekommen zu seinund war, krank von all dem Regen, nass und braun. Er sehnte den Moment herbei, in dem Sir Alan auf die Uhr schaute und die Stunde beendete. Als die Glocke endlich schrillte, sprang Andrew auf. Er hatte eine andere Vine im Kopf.
Der Korridor füllte sich mit Jungs. Hüte, Jacketts, Stimmengewirr. Fünfzig Halbwüchsige drängten sich im Flur – die einen verließen die Klassenräume, die anderen kamen. Andrew bahnte sich seinen Weg durch die Menge.
Hey.
So eilig?
Er erreichte sie und umfasste ihren Ellbogen.
»Ich muss dir etwas erzählen«, zischte er.
»Andrew.« Persephone erhob warnend die Stimme. »Kennst du Seb?«
Andrew bemerkte den großgewachsenen Rothaarigen, mit dem sich Persephone bei der Probe abgegeben hatte. Aus der Nähe sah er sogar noch besser aus – kantiges Kinn, athletische Figur und der verletzte Ausdruck eines Jungen, dem man gerade ein Plätzchen aus der Hand genommen hatte. Andrew fiel wieder ein, was Rebecca, das Mädchen mit dem kurzen Rock, gesagt hatte. Sie kennt jede Menge Jungs.
Andrew runzelte die Stirn. »Hi.«
»Der berühmte Andrew Taylor«, erwiderte Seb gedehnt.
»Würdest du uns entschuldigen?«, fragte Andrew.
»Natürlich. Wir sehen uns am Donnerstag, Miss Persephone.« Seb verabschiedete sich mit einer spöttischen Verbeugung und legte die Hand an die Hutkrempe. Persephone lachte. Ihre wundervollen Augen leuchteten. Seb bedachte Andrew mit einem scharfen Blick. Ich sehe siezweimal die Woche im Englischunterricht, sagten seine Augen. Glaub ja nicht, dass ich das Feld räume.
Andrew schaute ihm nach. Er war verdammt lässig .
»Ein neuer Freund?«, fragte er sarkastisch.
»Seb ist der klügste Junge in meiner Klasse. Wir diskutieren über ›The Pardoner’s Tale‹.«
»Er scheint nicht gern zu gehen.«
»Bist du jetzt mein Anstandswauwau?«, gab sie zurück. »Mal sehen – ich habe Jungs in meinem Englischkurs: Und … in Kunst! Und in Biologie! Mein
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