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Weißes Gift im Nachtexpreß

Weißes Gift im Nachtexpreß

Titel: Weißes Gift im Nachtexpreß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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Tarnung. Tatsächlich
war er ein hoher Offizier beim Staatssicherheitsdienst, dem verhaßten Stasi.
Der hatte zig Tausende von Mitarbeitern, Zuträgern, Spitzeln, Informanten. Aber
nur eine begrenzte Anzahl führender Köpfe. Der Stasi — wie ihr wißt — hat die
Menschen in der DDR kontrolliert. Und wer aufmuckte gegen den Unrechts-Staat —
der verschwand hinter Zuchthausmauern. Auch Jugendliche hat man da nicht
ausgenommen.“
    Streiwitz sah Tim an. „Wie ich dich
einschätze, hättest du drüben erhebliche Probleme gehabt. Ehrlichkeit, Kritik,
freie Meinung — das war nicht gefragt bei den Machthabern. Von Malchows
Stasi-Zugehörigkeit ahnte ich nichts. Allerdings fiel auf, mit welcher Hingabe
er das Regime ( System, Herrschaftsform) verteidigte. Mir mangelte diese
Begeisterung. Einmal hatten wir Streit wegen einer schulischen Angelegenheit.
Ein Wort gab das andere, und ich sagte ihm ins Gesicht: Ein Regime, das unfähige
Minderleister wie ihn in hohe Positionen stelle, sei minderwertig-fachlich,
menschlich, gesellschaftlich, politisch. Überhaupt! Punkt — das war’s. Zwei
Tage später wurde ich verhaftet.“
    Tim schüttelte den Kopf. „Wegen
Beleidigung kann man doch niemanden verhaften.“
    „Beleidigung? Man beschuldigte mich,
ich hätte staatsfeindliche, staatszersetzende Hetzreden gehalten — wie ein
westlicher Agent. Und mir wurde ein Dutzend Leute gegenübergestellt — alles
Zeugen, die das bestätigen konnten. Der Witz war, ich hatte diese Leute noch
nie vorher gesehen. Sie waren bestochen, gekauft, auch gezwungen worden, mich
zu belasten. Ich wurde angeklagt, ich wurde verurteilt als Volksschädling, ich
verschwand im Zuchthaus. Und einmal hat mich Malchow — der fette Malchow, wie
er unter uns Kollegen genannt wurde — einmal hat er mich dort besucht. Unter
vier Augen sagte er grinsend, daß er das alles gedeichselt habe — um mir eine
Lektion zu erteilen.“
    „Und jetzt?“ fragte Tim.
    „Was meinst du?“
    „Der Stasi wurde aufgelöst. Wo ist
Malchow?“
    „Verschwunden. Untergetaucht. Vermutlich
in Südamerika.“
    „Um sich dort als Schulrat seinen
Lebensunterhalt zu verdienen?“
    Jetzt lächelte Streiwitz. „Das hat
dieser Blutsauger nicht nötig. Der schwimmt in Geld. Wie ich später erfahren
habe, hat er als Stasi-Offizier sogenannte Enteignungen vorgenommen. Das heißt,
er hat sich an DDR-Staatsbürgern bereichert. Privatleute — aus ehemals
begüterten Familien — verfügten noch über beträchtliche Kunstschätze aus alter
Zeit: Gemälde, Skulpturen, Münzsammlungen, Meißner Porzellan, Schmuck. Malchow
beschlagnahmte das im Namen seiner Partei. Aus nichtigen Gründen. Die Bonzen
haben diese Millionenwerte unter sich aufgeteilt. Und dann an Kunstsammler ins
Ausland verkauft. Von Malchow nimmt man an, daß er etliche Millionen — manche
reden von deren 30 bis 50 — für sich abgezweigt hat. Der lebt jetzt irgendwo in
Saus und Braus.“

    „Unerhört!“ empörte sich Klößchen.
    Ein himmelschreiendes Unrecht, dachte
Tim. Aber wir können nichts daran ändern.

8. Bauchweh
     
    Nach dem Essen sprach man über
erfreulichere Themen.
    Sauerlich berichtete über den
großartigen Umsatz seiner Schokoladen-Produkte.
    Die TKKG-Bande unterhielt sich mit Dieter.
Er war nett, aber ziemlich in sich gekehrt und im Umgang mit Gaby sehr
linkisch. Dann kam irgendwie die Rede auf Jeans, und er taute auf, wußte alle
gängigen Marken, bekam leuchtende Augen, bezeichnete sich selbst als
jeans-verrückt und bewunderte jene, die Tim trug.
    Schließlich endete die Festivität —
zumindest für die zweite Generation.
    Klößchen hatte nicht die Absicht, im
Elternhaus zu übernachten, sondern wollte — wie Tim — zurück ins Internat.
    Vorher brachten die Jungs Gaby nach
Hause. Auch Dieter kam ein Stück mit bzw. er fuhr auf Amalies altem Damenrad.
    Für den nächsten Tag war allerhand
angesagt.
    Nachdem Tim von Gaby seinen
Gute-Nacht-Kuß erhalten hatte — unter der Haustür — beeilten sich die Jungs,
Dieter war bereits abgeschwirrt, mit dem Heimweg.
    Karl bog ab an seiner Ecke.
    Tim und Klößchen ließen die Stadt
hinter sich, deren Straßen jetzt menschenleer waren und noch kälter als vorhin.
    Die Chaussee, die Zubringerstraße zum
Internat.
    Eisiger Wind strich über die Felder, und
in den Bäumen saßen schwarze Dohlen — die der Laie oft mit Raben verwechselt.
    Auch in der großen Internatsschule war
Ruhe eingekehrt.
    Tim und Klößchen wurden eingelassen vom
EvD (Erzieher

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