Weißes Gift im Nachtexpreß
Müllsack,
in dem schon viel Abfall war.
„Vielleicht Rauschgift“, sagte Makbule.
„Vielleicht Heroin.“
„Unsinn!“
Irene begann die Türgriffe abzureiben
und wandte der Türkin, mit der sie sich gut verstand, abrupt den Rücken zu.
„Vielleicht doch“, sagte Makbule, die
manchmal sehr nerven konnte. „Ich gehört, auf Station an Grenze Polizei in Zug.
Und Zoll. Verbrecherin Zug. Aber der geflohen. Vielleicht Dealer.“
Das erklärt’s, dachte Irene. Himmel,
diese Menge! Unfaßlich! Auf dem Rauschgiftmarkt ist das doch Hunderttausende wert. Nein, eine Million!
„Ich werfe es nachher in den Müllcontainer“,
sagte Irene und putzte weiter an dem abgegriffenen Messing.
Makbule, sie war klein und schmächtig, hob die Achseln. Auch sie arbeitete weiter.
Irenes Gedanken schossen hin und her
wie Marder in der Falle.
Ich muß weg hier. Ganz schnell. Bevor der
Besitzer auftaucht. Irgendwer wird das doch sein — auch wenn der Dealer
geflohen ist. Dealer? Nein, Drogen-Kurier. Wo kommt der her — von der Grenze?
Oder ist der Stoff zum Abholen bestimmt?
Irene hielt sich an der Tür fest.
„Mir ist heute so elend. Ich glaube,
ich werde krank.“
„Krank?“ Makbule sah großäugig her.
„Schwindelig. Im Kopf. Und heiß an der
Stirn. Vielleicht habe ich Fieber.“
„Du mußt zum Arzt und ins Bett.“
„Ja, ich glaube, es ist besser, wenn
ich mich beim Schichtführer abmelde.“
Irene lächelte schmerzlich und nahm
ihren Müllsack.
11. Gefahr vor der Tür
Der IRISCHE NEBEL stand noch auf dem Tisch, fast
voll das Glas. Die Milch sah aus, als wäre sie sauer. Im zweiten Anlauf hatte
sich Karl für Urwald-Geister entschieden. Die waren alkoholfrei.
Tim reckte den Kopf.
„Seht mal, wer da kommt!“
Irene eilte an Gleis 14 entlang, natürlich
auf dem Bahnsteig, war schemenhaft aus der Dunkelheit getreten — kaum zu
erkennen wegen des Overalls. Nur das blonde Haar hob sich ab.
Sie schleppte einen Müllsack, hielt ihn
mit beiden Armen an sich gepreßt, als wäre er wertvoll.
„Ob sie zum Klo muß?“ meinte Klößchen.
„Toiletten gibt’s auch dort hinten.“
Die TKKG-Bande beobachtete.
Irene verschwand hinter der Tür
PERSONAL.
„Irgendwas stimmt nicht“, sagte Tim.
„Sie unterbricht ihre Arbeit. Die andern machen weiter. Vielleicht ist Bert in
der Nähe. Oder sie will telefonieren.“
Um notfalls gleich starten zu können,
bezahlten die Kids ihre Drinks (Getränke).
Karl hatte sich inzwischen erholt von
dem Whisky-Schluck und war nicht mehr dreherig hinter der Brille.
Gespannt blickten alle zur
Personal-Tür, und Irene ließ nicht lange auf sich warten.
Mantel, Kopftuch wie vorhin. Die große
Handtasche war vollgestopft zum Überquellen und anscheinend auch schwerer
geworden. Denn Irene schleppte daran wie an einem Koffer für vier Wochen
Urlaub.
„Ich weiß zwar“, sagte Karl, „daß die
Arbeitszeiten immer kürzer werden — besonders im Öffentlichen Dienst aber so
kurz! Das lohnt ja kaum noch das Anfängen.“
Tim lachte. „In zehn, zwölf Jahren —
wenn wir berufstätig werden — haben wir längst die totale Freizeit-Gesellschaft.
Nur noch Freizeit. Und alle damit verbundenen Probleme. Natürlich bei höchsten
Gehältern, steigendem Wohlstand und unendlichem Fortschritt. Darauf müssen wir
uns einstellen, beizeiten. Falls es nicht nur die Träume von spinnerten Arbeitszeit-Verkürzern
sind.“
Irene eilte zur Bahnhofshalle.
Tim und seine Freunde verließen die
Milchbar.
Berts Schwester hatte es eiliger als
vorhin. Sie war nicht mehr zu sehen, als ihre Verfolger in die Halle kamen.
Weg. Wie vom Erdboden verschwunden. Konnte das sein? Tim fluchte. Suchend
rannten die TKKGler umher, auch ins Freie. Und plötzlich tauchte Irene aus dem
Hintergrund auf — gerade, daß Tim noch Gelegenheit hatte, sich blitzschnell zu
verstecken: hinter dem Presse-Kiosk.
Irene schaute weder rechts noch links,
sondern eilte nach Hause.
*
Die Altbau-Wohnung im
vierten Stock Armie-Gasse 11.
Irene war die Stufen hinaufgerannt.
Jetzt schloß sie hinter sich ab.
„Bert! Ich bin’s. Bist du da?“
Natürlich nicht. Die drei Zimmer waren dunkel.
Und der Fernsehapparat war ausgeschaltet. Also konnte ihr Bruder nicht da sein.
Sie war aufgeregt. Heute würde sie
nicht schlafen können. Natürlich hatte sie sofort erkannt: Heroin. Ein Freund,
mit dem sie Schluß gemacht hatte, war Dealer gewesen. Netter Typ sonst, aber
völlig ohne Gewissen. Durch ihn wußte sie, wie Heroin
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