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Weißes Gift im Nachtexpreß

Weißes Gift im Nachtexpreß

Titel: Weißes Gift im Nachtexpreß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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Tim nahm
sein Rennrad.
    Irene ging flott, ohne sich
umzublicken.
    Mit Verfolgern rechnete sie
offensichtlich nicht.
    Nach kurzem Weg betrat sie den
Hauptbahnhof.
    Die TKKG-Bande rückte auf.
    Irene durchquerte die Halle, folgte
einer Passage zum Osttrakt und verschwand durch eine Tür mit der Aufschrift
PERSONAL.
    Auch andere Frauen gingen hinein,
jüngere, ältere, deutsche und türkische. Alle waren einfach gekleidet.
    „Mich dünkt“, sagte Karl. „Irene jobbt
hier. Und das nicht als Lokomotivführer.“
    „Es gibt weibliche Schaffner“, sagte
Klößchen. „Die nennt man Zugbegleiterinnen. Sie sind sehr nett zu den
Reisenden, aber mir fiel auf, daß die Uniformen nicht richtig passen.
Jedenfalls keine Maßanfertigung für die Damen.“
    „Die Bundesbahn ist hoch verschuldet“,
sagte Karl, „fährt immer in roten Zahlen. Da ist kein Geld übrig für
maßgefertigte Dienstkleidung.“
    „Ihr Spinner“, murmelte Tim. „Das sind
Putzfrauen.“
    Er behielt recht.
    Nach einiger Zeit öffnete sich die Tür,
und grüppchenweise kamen die Frauen heraus.
    Sie hatten sich umgezogen:
Arbeitskleidung, Kittel. Irene trug einen blauen Overall. Alle hatten Besen,
Schrubber, Eimer — was man so zum Reinigen braucht.

    Sie verteilten sich. Irenes Gruppe ging
über das Bahnsteig-Vorfeld und an Gleis 14 entlang — weit, weit bis dorthin, wo
die Kuppel der Bahnhofshalle endet und die schmäler zulaufenden Bahnsteige in
dunstige Nacht weisen.
    „Dort hinten sind Abstellgleise.“ Tim
kniff die Lider schmal. „Für Züge, die heute nicht mehr gebraucht werden. In
denen bricht jetzt die Sauberkeit aus.“
    „Ob Bert sich in einem der Züge
versteckt?“ überlegte Gaby.
    Tim hob die Achseln. „Wir können ja ein
bißchen warten. Vielleicht wird er aufgescheucht und trabt an.“
    „Oder ist er längst zu Hause“, sagte
Karl.
    „Oder das.“
    Die vier TKKGler schoben ihre Drahtesel
zu einer Milchbar, wo man hinter einer Glasfront sitzen, Gesund-Getränke zuzzeln
und die Zeit totschlagen konnte wie ein Reisender, der fünf Stunden Aufenthalt
hat.
    Von hier aus hatten Tim und seine
Freunde totalen Überblick, also alles im Auge; ihre Stahlrosse, die Bahnsteige
und den nun nachtdunklen Hintergrund mit den abgestellten Zügen.
    Klößchen bestellte Kakao, Gaby
Bananen-Milch, Tim Urwald-Geister — was ein sahniges Gemisch verschiedener
Obstsäfte war — , Karl entschied sich für IRISCHEN
NEBEL und verzog, kaum gekostet, das Gesicht.
    „Was ist denn da drin?“
    Alle schnupperten.
    „Riecht streng“, meinte Gaby. „Ein
bißchen wie Hustensaft.“
    Tim schnippte der Serviererin, die
gerade in der Nähe stand.
    „Was enthält der Nebel?“
    Sie lachte. „Whisky und Milch.“
    „Gütiger Himmel“, meinte Karl. „Mir ist
schon ganz dreherig hinter der Brille.“
    Alle kosteten und entschieden
einstimmig, daß es ein Jammer sei, die schöne Milch so zu versauen.
     
    *
     
    Im bulgarischen Kurswagen sah’s schlimm
aus — wie immer. Er stand auf einem der Abstellgleise hinter der
Container-Brücke, und Irenes Gruppe mußte ein gehöriges Stück laufen.
    Sie waren zu viert.
    Langsam arbeiteten sie sich durch die
leeren Abteile.
    Eine diesige Nacht stand bevor,
Fröstelwetter, wie Irene es nannte.
    Der Kurswagen gehörte zum D1410, der
zwar auch bei Tag fuhr, aber trotzdem Nachtexpreß hieß.
    Irenes Rücken schmerzte.
    Sie konnte sich nicht gewöhnen an diese
Arbeit, würde sich nie daran gewöhnen. Wie rauh die Hände dabei wurden! Aber
sie hatte keine Wahl. Irgendwie mußte sie sich und ihren Bruder durchbringen.
Mit dem war ja nichts anzufangen. Aus jeder Lehrstelle flog er raus. Ohne ihre
— Irenes — Hilfe wäre er längst vor die Hunde gegangen.
    Was er wohl jetzt wieder angestellt hatte?
Seit gestern abend kam er nicht heim. Mittags hatte er angerufen. Ob jemand
nach ihm gefragt habe.
    Irene spürte Widerwillen, wenn sie an
ihn dachte. Trotzdem — er war ihr Bruder und sie die ältere Schwester.
    „Da! Was das?“
    Makbule, die junge Türkin, blickte
verwundert.
    Unter einer der Sitzbänke hatte sie ein
Paket gefunden, eingewickelt in eine türkische Zeitung.
    „Das Zucker?“
    Irenes Augen weiteten sich.
    Grau-weißes Pulver, in einer
Plastiktüte, fest verpackt.
    Irene nahm Makbule das Paket aus der
Hand.
    Schwer. Fünf Kilo, mindestens, mochten
das sein. Fünf Kilo — was?
    Ihr Puls flatterte. Aber sie lächelte
geringschätzig.
    „Ja, Zucker, Makbule. Verdorben.“
    Sie warf das Paket in ihren

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