Weißes Gift im Nachtexpreß
die
Tat verüben können — unmittelbar nach dem Spaziergang. Dann hierher, sich
hinsetzen, trinken und entsetzt sein über sich selbst. Eine Tat im Affekt.
Vielleicht ist Streiwitz erst im Gasthaus wieder zur Besinnung gekommen.“
„Ich glaube nicht, daß er’s war.“
„Und wo ist er jetzt? Traut er sich
nicht zurück?“
Sie fuhren die Eichen-Allee entlang.
Vor der Landers-Malchow-Villa hatten
Glockners Kollegen zusätzliche Lampen aufgestellt. Gleißend hell war die Szene.
Zwei Fahrzeuge parkten. Drei Experten für Spurensicherung und Inspektor Glaubniks
machten ihren Job.
In diesem Moment bemerkte Tim eine
Bewegung: links neben dem Haus, wo ein Streifen Garten nach hinten führte. Das
Licht reichte nicht bis zu den Büschen. Aber Tim sah die Gestalt, die dort aus
der Dunkelheit hervor schwankte.
„Herr Glockner! Da ist er.“
Jetzt torkelte Manfred Streiwitz in den
Lichtkreis.
Verblüfft hielten die Kripo-Beamten
inne.
Tim sprang aus dem Wagen und lief Streiwitz
entgegen. Der sah übel aus. Blut aus einer Stirnwunde war ihm übers Gesicht
gelaufen.
*
Diesmal kam nicht der Notarzt. Der
Polizeiarzt wurde angefordert. Er behandelte Streiwitz, verordnete Bettruhe,
schloß aber eine Gehirnerschütterung aus. Streiwitz hatte Glück gehabt.
Bevor ihm mitgeteilt wurde, welcher
Verdacht gegen Streiwitz bestand, hörte Glockner sich an, was passiert war.
„Ist eine Dummheit von mir“, meinte Streiwitz
und lehnte sich zurück auf der Couch, auf die man ihn gebettet hatte, „aber
dieses Erlebnis! Ein richtiger Schock war das — mit verzögerter Wirkung. Ihr
müßt wissen“, das galt allen, die sich um ihn versammelt hatten: Glockner, die
drei Sauerlichs, Tim sowie Elke samt Sohn, „vorhin im Park sind Dieter und ich
— du weißt es ja schon, Dieter — sind wir dem Menschen begegnet, den ich
erwürgen könnte mit eigenen Händen. Er heißt Emmerich Malchow und…“
„Ich bin informiert“, fiel Glockner ihm
ins Wort. „Ein Stasi-Offizier, der Ihnen übel mitgespielt hat. Darauf kommen
wir noch. Im Moment möchte ich wissen: Was haben Sie auf dem Grundstück
gemacht? Und wie ist es zu der Verletzung gekommen? Über Ihre Begegnung mit
Malchow, alias Dr. Landers, wissen wir Bescheid.“
„Ach ja?“ Vorwurfsvoll sah Streiwitz
seinen Sohn an. „Also — mich hat die Begegnung getroffen wie ein Schlag. Ich war
völlig fertig. Wie sollte ich mich verhalten? Was tun? Ich bin losgelaufen, um
die innere Spannung loszuwerden. Bis zu einem Gasthaus. Dort habe ich mich
hingesetzt und was getrunken. Dabei ist die alte Wut in mir aufgestiegen. Immer
stärker. Ich sah richtig rot. Ja, und daraus ist dann diese Dummheit
entstanden.“
„Was meinen Sie?“
„Ich bin losgelaufen — zu Malchows
Haus, das er ja unter einem falschen Namen bewohnt. An der Pforte habe ich geklingelt.
Ich wollte reden mit ihm — nein, nicht reden. Beschimpfen wollte ich ihn. Zur
Rede stellen. Aber er kam nicht raus. Also bin ich aufs Grundstück und ums Haus
gelaufen. Alle Fenster waren dunkel. Trotzdem habe ich gegen die Scheiben
gehämmert. An der Rückfront — auf der Terrasse — hatte ich Glück. Nein, Pech!
Jedenfalls — da war er. Im Dunkeln hatte ich ihn plötzlich vor mir. Du Schwein!
habe ich ihn angeschrien — und bin auf ihn los. Der Alkohol, Herr Kommissar.
Ich wußte wirklich nicht mehr, was ich tat. Vielleicht hätte ich Malchow
verdroschen — vielleicht! Aber er war schneller. Wahrscheinlich hat er mit
seinem Spazierstock zugeschlagen. Für eine Sekunde sah ich Sterne. Dann war
alles schwarz um mich. Eine Weile war ich wohl bewußtlos. Als ich wieder zu mir
kam, bin ich ums Haus nach vorn getorkelt — und da war auch schon Tim.“
„Eins ist sicher“, sagte Glockner.
„Nicht Malchow hat Sie niedergeschlagen. Der war bereits im Krankenhaus, wo die
Ärzte zur Zeit um sein Leben kämpfen. Denn Malchow...“ Glockner berichtete, was
sich ereignet hatte. Er erläuterte den Verdacht, der sich verdichtet hatte mehr
und mehr seit Beginn der Ermittlungen.
Entgeisterung breitete sich über
Streiwitzens Gesicht.
„Das war ich nicht, Herr Kommissar. Auf
Ehre und Gewissen: Ich habe Malchow nicht überfallen. Ich schwöre.“
Absolut unschuldig! dachte Tim. Oder
ich verstehe überhaupt nichts von Menschen.
Auch Glockner schien dieser Meinung zu
sein, jetzt — da er Streiwitz kennenlernte.
„Ich glaube Ihnen — sozusagen von
Mensch zu Mensch. Andererseits reicht ihr Alibi nicht aus, Herr
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