Weisses Gold
dem Hafen steuern. Dann würden sie nach Norden an der Küste entlang segeln und nach wenigen Tagen Gibraltar erreichen.
Sie beschlossen, ihren Plan unverzüglich in die Tat umzusetzen. Pellow suchte erneut das Gespräch mit den Wachen und machte ihnen ein Angebot: »Wenn Ihr morgen Abend um zehn Uhr kommt, werde ich euch hier treffen und noch mehr Brandy, Zucker und Zitronen mitbringen.« Die beiden Marokkaner waren sehr freundlich, und Pellow fragte sie, ob sie etwas dagegen einzuwenden hätten, dass er seine Kameraden mitbringe, »zwei der ehrlichsten Gesellen in der Berberei, und wir gehen gemeinsam an Bord und genießen unser Vergnügen«.
Die drei Engländer verbrachten den Tag in nervöser Anspannung. Sie waren von ihrem Erfolg überzeugt, denn es hatte sich gezeigt, dass die Wachen Trunkenbolde waren. Dennoch standen sie unter großem Druck, denn sollte ihr Vorhaben scheitern, würde man sie zweifellos töten.
»Wir bereiteten alles vor«, erinnert sich Pellow, »darunter zwei Paar Pistolen, den Brandy und so weiter«. Sie hatten weder Karten noch Navigationsinstrumente, was sie jedoch nicht übermäßig beunruhigte. Sie konnten bis zum Kap Spartel an der marokkanischen Küste entlang segeln und dort in östlicher Richtung ins Mittelmeer fahren. Anschließend würden sie sich an den Sternen orientieren, um den Weg durch die kurze, aber heimtückische Meerenge von Gibraltar zu finden.
Um zehn Uhr abends machten sich die drei Männer auf den Weg zum Hafen. Pellow war erleichtert, als er sah, dass das kleine Ruderboot von der Schaluppe ablegte und auf sie zusteuerte. Doch in diesem Augenblick erklärte William Johnston völlig unvermittelt, dass er seine Meinung geändert habe. »Zu meiner großen Überraschung«, schreibt Pellow, »sagte er uns, dass er keineswegs in dieser Nacht aufbrechen könne«.
Pellow und Hussey konnten nicht fassen, was sie da hörten. Das Ruderboot würde jeden Augenblick den Strand erreichen. Es war keine Zeit mehr für Diskussionen. Die beiden begriffen, dass sie keine andere Wahl hatten, als ihren Fluchtversuch abzubrechen. Nun mussten sie befürchten, von Johnston betrogen zu werden. Kurz entschlossen gingen sie zum Wasser hinunter, während ihr ehemaliger Kamerad zurückblieb. Sie erklärten den beiden Wachen, »[sie hätten] guten Grund zu glauben,dass [sie] beobachtet würden, weshalb [sie ihren] Besuch auf der Schaluppe auf die kommende Nacht verschieben wollten«. Sie hofften immer noch, auf diesem Schiff zu entkommen, und wollten verhindern, dass die Marokkaner Verdacht schöpften; daher sagten sie ihnen, dass sie »aus Freundschaft einige Flaschen Brandy sowie Zucker und Zitronen mitgebracht hätten«. Die beiden Wachen waren sehr erfreut und antworteten »in sehr freundlichem Ton, dass sie an Bord gehen und auf unsere Gesundheit trinken würden, und dass wir uns darauf verlassen könnten, dass sie am folgenden Abend wiederkommen würden«.
Als sich die Marokkaner auf den Rückweg zu ihrem Schiff gemacht hatten, wandten sich Pellow und Hussey voller Wut Johnston zu. Sie warfen ihm vor, »dass er mit seinem Verhalten sowohl uns als auch sich selbst übel mitgespielt habe«. Pellow tadelte ihn, weil er eine ausgezeichnete Gelegenheit zur Flucht vereitelt hatte: »Wäre er so entschlossen gewesen, wie er versprochen hatte, so wären wir damals mit aller Wahrscheinlichkeit fern der Macht der Mauren sicher an einem christlichen Strand gelandet.« Sehr enttäuscht waren die beiden Männer auch deshalb, weil gerade diese Schaluppe mit Waffen, Bienenwachs und Kupfer »im Wert von fünf- oder sechstausend Pfund« beladen war. Eine solche Ladung hätten sie in Gibraltar gut verkaufen können.
Doch Johnston war nicht in der Stimmung, einen Kompromiss zu schließen, denn er war seinerseits wütend auf Pellow und Hussey. Nachdem er den Fluchtplan noch einmal überdacht hatte, war er zu dem Schluss gelangt, dass es ein ausgesprochen unkluges Unterfangen war. Auch dachte er seit geraumer Zeit darüber nach, ob er wirklich die Flucht ergreifen sollte. In England würde er weder Geld noch Zukunftsaussichten haben und ein Leben in Armut führen. Hier in Marokko genoss er kostenlose Mahlzeiten und hatte als Fußsoldat des Sultans eine durchaus annehmliche Stellung. In geringschätzigem Ton hielt er Pellow entgegen, »dass er sich die Sache noch einmal reiflich überlegt habe … und zu dem Schluss gelangt sei, dass der erste Eindruck von dem Vorhaben trügerisch gewesen sei«.
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