Weisses Gold
Unterkunft. Als sie öffneten, stand eine Handvoll französischer Gefangener vor ihnen, die ihren Wärter bestochen und sich für kurze Zeit aus dem Sklavenpferch davongestohlen hatten. »Als wir ihren elenden Zustand sahen, verwandelte das Mitgefühl unsere Freude in Schmerz«, schreibt de la Faye. Angesichts des erbärmlichen Zustands seiner Landsleute brach er in Tränen aus. Er wollte gemeinsam mit ihnen beten, aber die Männer musstenrasch in ihr Quartier zurückkehren, denn sie fürchteten, entdeckt zu werden: »Nachdem ich sie kurz aufgemuntert und zum Durchhalten aufgefordert hatte, verließen sie uns wieder.« Noch in derselben Nacht ließ Pater Jean den Sklaven eine kleine Börse voll Münzen zukommen, damit sie ihre Wachen bestechen und sich ein wenig zusätzliche Nahrung beschaffen konnten.
Es vergingen mehrere Tage, bevor Pater Jean und seine Männer die Erlaubnis erhielten, die französischen Gefangenen in den Sklavenpferchen zu besuchen. Sie waren entsetzt über die Bedingungen, die dort herrschten, und rangen mit den Tränen, als sie die erschütternden Leidensgeschichten der Sklaven hörten. Die Männer beklagten sich über die zermürbende Zwangsarbeit, »die ohne Unterlass vom Morgengrauen bis in die Abenddämmerung dauert, gleichgültig ob es regnet oder die Sonne brennt«. Pater Jean erfuhr auch, dass die Nationalität keinen Einfluss auf die Behandlung der Sklaven hatte. Er sprach mit niederländischen, portugiesischen, genuesischen und spanischen Sklaven, die alle ähnliche Geschichten erzählten. Und man erzählte ihm, dass die weiblichen Gefangenen noch grausamer behandelt würden als die Männer. Eine Frau, die sich geweigert hatte, zum Islam überzutreten, war so schwer misshandelt worden, dass sie ihren Verletzungen erlegen war. »Die Schwarzen verbrannten ihre Brüste mit Kerzen, und mit größter Grausamkeit gossen sie geschmolzenes Blei in jene Teile ihres Körpers, die aus Gründen der Schicklichkeit nicht beim Namen genannt werden können.«
Nachdem die Mönche mehrere Tage gewartet hatten, teilte man Pater Jean mit, dass der Sultan nun bereit sei, ihm eine Audienz zu gewähren. Das war die erste erfreuliche Nachricht seit seiner Ankunft in Meknes, und er beeilte sich, die Geschenke vorzubereiten: zwei große Teleskope, ein Jagdgewehr mit Damastlauf, mit Gold durchwirkter Brokatstoff und drei Kisten Fayence-Geschirr. Dann machte er sich auf den Weg zum Palast, wo Mulai Ismail bereits voll Vorfreude auf seine Geschenke wartete.
Mittlerweile war dem Sultan sein hohes Alter – er war 76 Jahre alt – deutlich anzusehen. Sein Körper war abgezehrt, er zuckte unentwegt mit dem Kopf und seine durchdringenden schwarzen Augen, die stets klein gewesen waren, waren tief in die Höhlen gesunken. Das hob seine außergewöhnlich fleischigen Lippen noch hervor, »zwischen denen erdie Zunge hervorstreckt, wenn er nicht spricht, was zur Folge hat, dass ihm unablässig Speichel aus dem Mund rinnt«. Dennoch war er immer noch eine beeindruckende Figur. Er war von Dutzenden Dienern umgeben, die ihm ständig Kühlung zufächelten. »Wenn der Sultan ausspucken wollte, traten seine liebsten Mauren heran, um seinen Speichel in einem Tuch aufzufangen. Einer fing ihn mit den Händen auf und rieb sich das Gesicht damit ein, als handle es sich um ein kostbares Öl.«
Die Mönche sahen sofort, dass Mulai Ismail an diesem Tag Gelb trug, seine ›Tötungsfarbe‹, »was darauf hindeutete, dass er einige Hinrichtungen anordnen würde«. Sie mussten nicht lange auf das grausame Schauspiel warten. Vier Verbrecher wurden in den Hof geschleppt, und der Sultan befahl, ihnen die Kehlen durchzuschneiden. Als sie um Gnade flehten, wandelte er die Todesstrafe in Prügel um. Sie erhielten 300 Peitschenhiebe und wurden »geworfen«, doch anschließend wurden sie gefesselt und hingerichtet.
Den entsetzten Mönchen wurde übel und sie drohten ohnmächtig zu werden. Obendrein beharrte Mulai Ismail darauf, dass sie in der Mittagssonne ausharrten, die Pater Jean als »sehr stechend« empfand. Aber er wagte nicht, sich zu beklagen, und schließlich gelang es ihm, die Verhandlungen über die Freilassung der Sklaven zu beginnen.
Pater Jean war schockiert, als er erfuhr, dass es im Sklavenpferch nur 130 französische Gefangene gab. Das war nur ein Bruchteil der Zahl, die erwartet hatte. Eine große Zahl von Sklaven war an Krankheiten und Hunger zugrunde gegangen, und viele andere hatten sich für den Übertritt zum Islam
Weitere Kostenlose Bücher