Weisses Gold
fortzuschaffen und ihr nichts außer verrottetem Brot zu essen zu geben. Mit gebrochenem Geist willigte das arme Mädchen schließlich ein, »ihm wider die Neigung ihres Herzens ihren Körper zu überlassen«. Der Sultan war erfreut, »ließ sie waschen und einkleiden … und legte sich zuihr«. Als seine Begierde gestillt war, »verbannte er sie eilig aus seiner Gegenwart«. Der Liebesakt war beiläufig, aber produktiv: Das Mädchen wurde schwanger und schenkte einem gesunden Kind das Leben, dessen Bestimmung ein Sklavenleben im großen Palast von Meknes war.
Im Harem wurden strenge Regeln befolgt, und niemand außer dem Sultan und seinen Eunuchen durfte in das innere Heiligtum vordringen. Das Protokoll verlangte selbst bei einem Besuch Mulai Ismails eine Anmeldung, bevor ihm Eintritt gewährt werden durfte. Pellow wurde über diese Regeln aufgeklärt und erfuhr, dass seine Aufgabe darin bestand, jedem Besucher zwischen Abenddämmerung und Morgengrauen den Zutritt zu verwehren.
Es dauerte nicht lange, da wurde seine Entschlossenheit auf eine harte Probe gestellt. Eines Abends klopfte nach Sonnenuntergang jemand heftig an eine der Türen, die er bewachen musste. Pellow wusste, dass sich die meisten Höflinge bereits in ihre Unterkünfte zurückgezogen hatten; und ihm war klar, dass es der Person auf der anderen Seite der Tür gelungen war, an mehreren Wachen vorbeizukommen. Er fürchtete, der Sultan selbst könne dort draußen stehen, doch er hatte die unmissverständliche Anweisung, die Tür keinesfalls zu öffnen: »Mir war klar befohlen wollen, nach dieser Stunde niemanden mehr einzulassen, ohne vorher Rat eingeholt zu haben und ohne dass bestimmte Zeichen gegeben worden waren.« Doch nicht genug damit, dass er der Person vor der Tür den Zutritt verweigern musste. »Sollte irgendjemand versuchen, zu einer derart unangemessenen Stunde einzutreten, und sich nicht unverzüglich wieder zurückziehen, … sollte ich durch die Tür schießen.«
Es folgte ein zweites Klopfen, und Pellow verlangte zu wissen, wer dort sei. Er bekam jene Antwort zu hören, die er am meisten gefürchtet hatte: Mulai Ismail verlangte Zutritt zu seinem Harem und war erbost darüber, dass ihm ein Sklave den Weg versperrte. Pellow befand sich in einer schlimmen Zwickmühle, denn er wusste, dass er bestraft werden würde, wie auch immer er sich entschied. Weigerte er sich, die Tür zu öffnen, so drohten ihm Folter und Hinrichtung, weil er sich dem Willen des Sultans widersetzt hatte. Öffnete er pflichtwidrig die Tür, so würde man ihn töten, weil er sich als nicht vertrauenswürdig erwiesen hatte.
Die Wachen beim äußeren Eingang waren in Panik geraten, als sie erkannt hatten, dass der Sultan selbst Einlass verlangte. Sie hatten sichso sehr vor seinem Zorn gefürchtet, dass sie widerspruchslos die Türen geöffnet hatten. Aber Pellow besaß einen unabhängigen Geist und war nur selten zu Kompromissen bereit. Dank dieser Halsstarrigkeit war es ihm gelungen, gegen den Willen seiner Eltern zur See zu fahren. Seiner Sturheit hatte er letzten Endes auch seine Gefangennahme zu verdanken gehabt. Doch nun sollte sie ganz andere Folgen für ihn haben.
Pellow brachte das Kunststück fertig, dem Sultan vorzuheucheln, dass er »sehr bezweifelte, es wirklich mit ihm zu tun zu haben, da [er] nie erlebt hatte, dass seine Exzellenz zu einer so ungewöhnlichen Stunde erschienen wäre, ohne dass man [ihm] das vorher angekündigt hätte«. Er fügte hinzu, wer immer dort vor der Tür stehe, »tue dies auf eigene Gefahr und solle fortgehen, da [er] ihn sonst mit einem halben Dutzend Kugeln durch die Tür beschenken würde«.
Mulai Ismail befahl Pellow, nicht zu schießen, und bellte durch die Tür, sollte der Junge ihn nicht einlassen, so werde er ihm »am folgenden Tag den Kopf abhacken«. Dann wechselte der Sultan unvermittelt den Ton und bot Pellow an, wenn er die Tür öffne, werde er ein schönes Pferd bekommen, und zwar »mit dem herrlichsten Sattel und Zaumzeug«.
Pellow misstraute dem Schmeicheln des Sultans. Er war davon überzeugt, dass man ihn auf die Probe stellte, und erklärte, er werde die Tür selbst dann nicht öffnen, wenn man ihm »alle Pferde des Reiches« verspreche. Er nannte seinem Gegenüber einen einfachen Grund für seine Weigerung: »Der berühmte Mulai Ismail, der glorreichste Herrscher der Welt, hat mir anvertraut und befohlen, meinen Posten gegen alle Hochstapler und Eindringlinge zu verteidigen.« Und er fügte hinzu,
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