Weisses Gold
alles weitere Drängen sei vergebens. Nun geriet Mulai Ismail derart in Rage, dass er wild gegen die Tür zu schlagen begann.
Pellow wusste, dass es nun zu spät war, seine Entscheidung zurückzunehmen. Und er wusste, dass er den Befehl hatte, seine Waffe auf die Tür zu richten, wenn ein ungebetener Gast hartnäckig darauf bestand, eingelassen zu werden. Er war überzeugt, dass der Schuss den Sultan kaum verletzen würde. Die Tür war aus massivem Holz, und auf der anderen Seite gab es zahlreiche Mauernischen, in denen der Sultan Deckung nehmen konnte. Doch er erschauderte bei dem Gedanken, dass er, ein Palastsklave, kurz davor stand, seine Waffe gegen den Sultan von Marokko zu erheben. Nervös und halb tot vor Angst begann er, die Muskete zu laden.
Als er den Abzug drückte, hallte ein gewaltiger Knall durch den Palast. »Ich schoss alle Kugeln ab, die ich in meiner Donnerbüchse hatte, geradewegs durch die Tür.« Der Schuss ließ das Holz splittern und übersäte es mit Löchern. Das veranlsste den Sultan schließlich zum Rückzug. »Als er meinen entschlossenen Widerstand sah und begriff, dass ich ihn keineswegs einlassen würde, kehrte er um.« Während sich Mulai Ismail entfernte, stieß er wilde Drohungen gegen Pellow aus und lobte die Wachen an den äußeren Türen, die ihn durchgelassen hatten.
Pellow hatte furchtbare Angst vor dem nächsten Morgen. Er wurde sehr früh geweckt und gemeinsam mit den anderen Wachen vor den Sultan geführt. Er war sicher, für sein Verhalten hingerichtet zu werden, stellte jedoch fest, dass sich die Wut des Sultans gegen die Hüter der äußeren Tore richtete. »Diejenigen, die ihm Zutritt gewährt hatten«, schreibt Pellow, »wurden entweder enthauptet oder grausam bestraft.« Pellow hingegen erhielt höchstes Lob vom Sultan: »Nachdem er mich in den höchsten Tönen für meine Treue gelobt hatte, belohnte er mich mit einem sehr viel edleren Pferd, als er mir für den Bruch meines Gelübdes versprochen hatte.«
Pellows Kühnheit in der Auseinandersetzung mit dem Sultan brachte ihn in die Nähe des inneren Kreises der Höflinge. Zunächst wurde er zum Diener eines der Söhne des Sultans gemacht. Mulai Sidan war ein unberechenbarer Charakter: »Er war von Natur aus grausam.« Entsetzt musste Pellow mit ansehen, wie er seinen schwarzen Lieblingssklaven mit eigener Hand tötete. Der Mann musste sterben, weil er unabsichtlich zwei Tauben verscheucht hatte, die Mulai Sidan gerade fütterte.
Dann wechselte Pellow in den Dienst von Mulai Sidans Mutter, einer freundlichen Frau, die ihn als »umsichtigen und pflichtbewussten Diener« bezeichnete. Kurze Zeit später, Pellow war inzwischen etwa 16 Jahre alt, nahm Mulai Ismail ihn in seinen eigenen Dienst. Er hatte erkannt, dass dieser junge englische Sklave ungewöhnlich aufgeweckt und geschickt war, und wollte die Begabung des jungen Mannes nutzen. Pellow erhielt die Anweisung, den Sultan »im Palast zu begleiten und der Befehle zu harren, die er [ihm] erteilen mochte«. Der neue Diener durfte den luxuriösen Palastkomplex nicht verlassen, wo er stets »geflissentlich die Befehle [des Sultans] befolgte, ihn barhäuptig und barfüßig beim Betreten des Palastes in Empfang nahm oder beim Verlassen der Anlageverabschiedete«. Es dauerte nicht lange, da erhob der Sultan Pellow zu einem seiner persönlichen Diener: »Ich erhielt die strikte Anweisung, ausschließlich die Anordnungen des Königs zu befolgen und ihn bei jeder Gelegenheit zu erwarten.« Wann immer Mulai Ismail ausritt, um die Arbeit seiner weißen Sklaven zu inspizieren, ritt Pellow an seiner Seite. »Ich saß meist auf dem edlen Pferd, das er mir geschenkt hatte, weil ich meinen Posten an der Tür so zuverlässig verteidigt hatte.« Bei diesen Gelegenheiten musste Pellow »einen etwa drei Fuß langen Knüppel aus Brasilholz tragen, mit dem [der Sultan] seine Leute beim geringsten Anlass auf den Kopf schlug, wie [Pellow] bei mehreren Gelegenheiten mit ansehen durfte«.
Wenn Pellow seinen Herrn bei dessen Regierungsgeschäften begleitete, musste er schweigend mit ansehen, wie Mulai Ismail die Sklaven misshandelte. »Er war von derart reizbarem, grausamem und ungestümem Wesen, dass niemand auch nur eine Stunde seines Lebens sicher sein konnte.« Zu seiner Verzweiflung wurde Pellow Zeuge, wie Mulai Ismail seinen schwarzen Handlangern befahl, erschöpfte Sklaven zu töten, wobei er ihnen mit Zeichen zu verstehen gab, welche Hinrichtungsmethode ihm vorschwebte: »Wenn er
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