Weißglut
und kam zurück. »Ihr müsst mich entschuldigen. Es hat sich etwas ergeben, was keinen Aufschub duldet.« Er griff nach der Sicherheitsausstattung, die Sayre getragen hatte. »Finden Sie allein hinaus?«
»So schwierig kann das nicht sein.«
Chris sagte: »Zu blöd, dass ich dich vor deiner Abfahrt nicht mehr zum Mittagessen einladen kann, aber auch ich habe dringende Geschäfte zu erledigen.« Er beugte sich vor und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Als er sich wieder von ihr löste, las sie blanke Ironie in seinen Augen. »Einen guten Flug, Sayre.«
Gemeinsam sahen Beck und Chris ihr nach, bis sie am anderen Ende des Korridors um die Ecke verschwand. »Also, das wäre erledigt.«
»Nicht ganz, Chris.«
Er wandte sich an Beck. »Du glaubst, sie wird uns weiter zusetzen wegen der Sicherheit oder Umwelt oder sonst einem Quatsch?«
»Das bleibt abzuwarten. Aber sie war heute früh schrecklich beschäftigt.«
Chris zog eine Braue nach oben. »Ach ja? Womit denn?«
»Zum einen hat sie mit Red Harper gesprochen. Er hat mich gerade angerufen. Er möchte, dass du in sein Büro kommst und einige Fragen klärst.«
Sayre fuhr nicht sofort aus der Stadt. Stattdessen kreuzte sie durch ein Viertel, das praktisch im Windschatten der Schlote von Hoyle Enterprises lag. Früher mal, als sie noch jung und naiv gewesen war, als ihr alles möglich erschienen war und die Zukunft in den prächtigsten Farben erstrahlt war, da hatte ihr Herz schon vor Freude zu pochen begonnen, wenn sie nur in diese Wohnstraße einbogen. Dieses Haus inmitten des einfachen Viertels war das Zentrum ihres Universums gewesen. Es hatte für Hoffnung, Glück, Sicherheit und Liebe gestanden.
Heute machte sich Verzweiflung in ihr breit, wenn sie es nur sah.
Das ganze Viertel war in den vergangenen zehn Jahren sichtlich heruntergekommen. Aber dieses Haus war praktisch zur Ruine verfallen. Das Grundstück sah so ungepflegt aus, dass sie glaubte, sich verfahren zu haben, irgendwo falsch abgebogen zu sein, sich in der Adresse getäuscht zu haben.
Was natürlich nicht der Fall war. Obwohl sich das Haus verändert hatte, erkannte sie es wieder. Und bei weiterhin bestehenden Zweifeln an ihrem Gedächtnis hätte sie nur den Namen am Briefkasten lesen müssen, um zu wissen, dass sie hier richtig war.
Der Garten vor dem Haus war mit Kinderspielzeug übersät, das größtenteils kaputt und anscheinend längst vergessen war. Ein paar Büsche kämpften an der Hauswand ums Überleben und bettelten mit traurig sprießenden Zweigen darum, gestutzt zu werden. Was vom Rasen übrig geblieben war, hockte in verschüchterten Flecken beieinander. Auf der Veranda stand eine verrostete Hollywoodschaukel. Die Farbe an den Außenwänden war abgeplatzt und schälte sich vom Holz.
Auch wenn sie sich einzureden versuchte, dass sie nur aufgrund einer plötzlichen Eingebung hergekommen wäre, hatte sie in Wahrheit schon seit ihrer Ankunft in Destiny mit dem Gedanken gespielt, einmal durch diese Straße zu fahren. Jetzt, wo sie hier war, spürte sie einen seltenen Anfall von Schmetterlingen im Bauch.
Ehe sie ihren ganzen Mut zusammennehmen und aussteigen konnte, läutete ihr Handy. Sie erkannte Jessica DeBlances Nummer im Display und nahm den Anruf an.
Nachdem sie sich begrüßt hatten, sagte Dannys Verlobte: »Ich wollte nicht stören. Es hätte mich nur interessiert, ob es bei Deputy Scotts Ermittlungen Fortschritte gegeben hat.«
»Ich habe heute Vormittag mit Sheriff Harper gesprochen.« Sayre erzählte ihr, dass er, Deputy Scott und Beck Merchant am Vorabend die Angelhütte durchsucht hätten. »Ich nehme an, sie sind dabei auf nichts Ungewöhnliches gestoßen, denn er meinte, dass Deputy Scott die Untersuchung spätestens morgen abschließen würde.«
Deprimiert sagte Jessica: »Ehrlich gesagt habe ich nichts anderes erwartet.«
»Möchten Sie, dass ich dem Sheriff von Ihrer Verlobung erzähle?«
»Nein. Dann würden es auch die Hoyles erfahren. Wahrscheinlich würden sie mir die Verantwortung für Dannys Selbstmord zuschieben, etwa dass ich ihn bedrängt hätte, mich zu heiraten, und ihn so in den Tod getrieben hätte.«
Leider musste Sayre ihr Recht geben. »Ich habe das Gefühl, Sie im Stich zu lassen, Jessica.« So, wie sie auch Danny im Stich gelassen hatte, weil sie nicht mit ihm hatte sprechen wollen bei seinem Anruf in der vergangene Woche. »Ich wünschte, ich könnte mehr für Sie tun.«
»Dass Sie bereit waren, mir zu helfen, hat schon viel
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