Weisst du eigentlich, dass du mir das Herz gebrochen hast
ziemlich verblasst, deshalb musste ich genau hinschauen, um etwas erkennen zu können.
Patrick.
Da stand er, mit derselben Lederjacke, derselben verwaschenen Jeans und einem unwiderstehlichen Lächeln. Neben ihm – die Arme liebevoll um seine Hüfte geschlungen – stand seine große Liebe.
Lily.
Das war also das Mädchen, das Patrick so sehr geliebt hatte, dass er siebenundzwanzig Jahre in der schäbigsten Pizzeria diesseits des Himmels auf sie gewartet hatte – hoffend, bittend, betend, dass sie durch jene Glastür und direkt in seine Arme zurückkommen würde.
Ich kniff die Augen zusammen und hielt mir den Zeitungsartikel so dicht vors Gesicht, dass meine Nasenspitze ihn beinahe berührte. Ich war mir nicht sicher, wonach ich suchte, bis ich es plötzlich sah.
Ihr dunkles, lockiges Haar. Ihr fröhliches Lächeln. Ihr Gesicht, so sorglos, so verletzlich und so voller Tatendrang.
Ich konnte meinen Blick nicht von ihr abwenden.
Denn das Mädchen auf dem Foto war ich.
42
wake me up inside
»Es ist völlig verrückt. Das macht einfach keinen Sinn.«
Ich starrte so angestrengt auf das Bild, dass ich dachte, mein Gehirn würde explodieren oder meine Augen würden mir aus dem Kopf fallen oder vielleicht auch beides.
»Wie kann das ich sein? Wie kann SIE ich sein?«
Wie um alles in der Welt sollte ich – ein ganz normales Mädchen mit einem ganz normalen Leben – zwei Personen auf einmal gewesen sein? War ich etwa recycelt worden? Oder erneuert? Wie unsere Wohnzimmercouch, die Mom und Dad hatten reparieren lassen? (Oder hieß das neu polstern?)
O Gott, der Tod ist so verwirrend.
Ich atmete tief durch und versuchte, mich zu beruhigen. »Es muss eine logische Erklärung dafür geben«, sagte ich mir. »Eine ganz rationale Erklärung.« Doch dann wurde mir wieder bewusst, dass ich auf dem höchsten Punkt der Golden Gate Bridge saß und seit fast einem ganzen Jahr tot war. Auch das war nicht gerade rational.
Oder vielleicht war ich seit dreißig Jahren tot.
Wie bei einem Treueschwur legte ich eine Hand auf mein Herz. »Schlage«, befahl ich. Dann schlug ich mir auf die Brust. »Schlage!« Als Echo kam ein dumpfer, hohler Ton zurück. Ich versuchte es noch einmal. »Schlage!« Und wieder. »Schlag endlich, du dummes Ding, SCHLAG!« Aber da war nicht der Anflug eines Pulses, nicht das leiseste Pochen, kein Atemzug. Nur ein trauriges, stilles Nichts.
Ich warf den Kopf zurück und schrie, so laut ich konnte: »Wo bist du? Warum hast du mir nichts gesagt?!«
Patrick antwortete nicht. Die Verbindung war defekt.
Ich lehnte mich vor und legte meine Stirn auf die Metallplattform. Tief in meinem Innern wusste ich die Antwort. Er hatte es mir gesagt oder zumindest hatte er versucht, es mir zu sagen. Ich hatte nur nicht zugehört.
Wie ich es hasste, dass ich keinen Kontakt zu ihm herstellen konnte und nicht wusste, wo er war. Aber ich hatte überall gesucht. Ich war an den äußersten Rändern meines Stücks Himmel gewesen – jeden einzelnen Highway hatte ich abgesucht, jeden Wald, jede Brücke und jeden Berg, der mir einfiel. Wo sonst konnte er sich nur verstecken? Wo war dieser Ort, von dem er wusste, dass ich dort nie nach ihm suchen würde?
Durch kleine orangefarbene Metallquadrate sah ich zu, wie die Welt dreihundert Meter unter mir pulsierte. Ich drehte den Kopf zur Seite – nach Nordosten – und entdeckte einige Meilen entfernt eine einsame Insel, in Richtung Sausalito, vor der Küste von Tiburon. Die untergehende Sonne hatte die Bucht in ein himmlisches Abendrot getaucht, und für einen Moment schien die Insel aufzuleuchten – eine auf dem tiefen dunkelgrauen Wasser treibende orangerote Flamme.
Doch nach wenigen Minuten war die Sonne hinter den Wellen versunken, und die Farbe des Himmels wechselte von schimmerdem Gold in ein düsteres Blau. Von Norden her zogen Regenwolken heran, und über die Insel fielen dunkle Schatten. Die Silhouetten von Bäumen.
Steif richtete ich mich auf.
Was ist das für ein Ort?
Auf einmal klangen mir Larkins Worte im Ohr, ein leises Flüstern aus der Brusttasche des Windes. Und plötzlich wusste ich, wo ich Patrick finden würde.
Angel Island. Wo die Toten hingehen, um zu sterben.
Ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, ob ich vielleicht zu spät kam. Also ging ich zum nördlichen Brückenpfeiler, trat an den Rand, hob meine Arme über den Kopf und stürzte mich mit einem perfekten Schwalbensprung in die Tiefe.
Doch diesmal fiel ich nicht.
Ich flog.
Ich
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