Weisst du eigentlich, dass du mir das Herz gebrochen hast
ihn sanft hin und her wiegte.
»Schh«, sagte ich. »Ist ja gut. Alles wird gut.«
»Nein, das ist es nicht!«, weinte er. »Ich will nach Hause!«
Ich erinnerte mich an den Morgen am Strand, als ich Sadie und Jakob gesehen hatte. Ich dachte daran, wie Patrick mich im Arm gehalten hatte, bis ich mich ausgeweint hatte, und wie er mich ins Slice zurückgebracht und mir zugeflüstert hatte, dass alles wieder gut werden würde. Ich erinnerte mich an den Schmerz in seinen Augen, als er mir sagen wollte, was er fühlte, und ich seine Gefühle beiseitegefegt hatte, als wären sie bedeutungslos. Als wäre er bedeutungslos. Und alles nur, weil ich in dem Augenblick nur an mich gedacht hatte.
In diesem Moment, als ich einen kleinen Jungen, den ich kaum kannte, in meinen Armen weinen ließ, fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
Ich hatte Patricks Herz gebrochen.
Genau wie Jakob mein Herz gebrochen hatte.
Und ich hasste mich dafür.
Plötzlich wollte ich alles wissen. Ich wollte – nein, ich musste – verstehen, wer Patrick war und wer er früher gewesen war und warum ich das Gefühl hatte, er hätte einen Teil von mir mitgenommen, als er verschwand.
Denn ich war es leid, im Dunkeln zu sein. Ich war es leid, traurig und allein zu sein und das Gefühl zu haben, als würde mir in meinem Innersten etwas fehlen. Etwas, von dem ich nun sicher war, dass es mir schon immer gefehlt hatte. Sogar, als ich noch am Leben war.
Ich wartete, bis Sam aufgehört hatte zu weinen. Dann küsste ich ihn auf die Wange und wuschelte ihm liebevoll durchs Haar. »Bin gleich wieder da.«
Ich stand auf und ging – die Schultern gestrafft und mit erhobenem Kopf – zu der Person hinüber, die mir endlich einige Fragen beantworten würde, ob sie wollte oder nicht.
Die Kreuzworträtsel-Lady.
41
let us die young,
let us live forever
»Wo ist er?« Ich setzte mich ihr direkt gegenüber auf einen Hocker und beugte mich über die Theke.
Sie zuckte mit den Schultern, ohne von ihrem Kreuzworträtsel aufzuschauen.
»Bitte«, forderte ich, »sagen Sie es mir.«
»Das sind vertrauliche Informationen.«
Aha. Sie weiß also etwas.
»Es ist aber wichtig.«
Sie sah mich lange und ernst an, wie ein altes, hochnäsiges Huhn. Als ich ihrem Blick hartnäckig standhielt, legte sie schließlich ihren Stift beiseite und faltete ihre Hände. »Bist du nun zufrieden?«
»Ich werde erst zufrieden sein, wenn Sie mir gesagt haben, wo Patrick ist.«
»Warum sollte ich denn wissen, wo er ist?«
»Weil Sie alles wissen.« Ich schenkte ihr das aufrichtigste Lächeln, zu dem ich fähig war.
Sie musterte mich misstrauisch. »Du willst mir wohl Honig um den Mund schmieren.«
Verflucht, das Lächeln war wohl nicht aufrichtig genug.
»Nein, das will ich nicht«, widersprach ich. »Und außerdem, was ist schon dabei? Sagen Sie mir einfach, wo er ist.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich sagte doch bereits: Nein!«
Ich stöhnte verärgert auf. Der Tod war genauso dumm wie das Leben! Tonnenweise blöde Regeln, die keinen Sinn machten.
»Ich bitte Sie höflich darum«, versuchte ich es erneut. »Bitte. Er ist seit Wochen verschwunden. Und ich mache mir Sorgen um ihn.«
Sie schnaubte abfällig. »Das ist ja lustig. Es ist schließlich deine Schuld, dass er weggegangen ist.« Sie tippte auf ihr Kreuzworträtsel. »Und es ist übrigens auch deine Schuld, dass ich jetzt niemanden mehr habe, der mir bei meinen Kreuzworträtseln hilft.« Sie griff wieder nach ihrem Bleistift.
Plötzlich erinnerte ich mich an die Papiere, die ich an meinem allerersten Abend im Slice hatte ausfüllen müssen. Hatte Patrick womöglich vor all den Jahren dieselben Formulare ausgefüllt? Führte die Kreuzworträtsel-Lady auch von ihm eine Akte? Ich beugte mich vor und schnappte ihr das Rätsel weg.
»Hey!«, protestierte sie.
Ich schüttelte den Kopf. »Das kriegen Sie erst wieder, wenn ich die Akte habe!« Unter ihrem schockierten Blick zog ich meinen Stift heraus und begann, meine eigenen Antworten einzutragen.
»Doch nicht mit dem Kugelschreiber!«, rief sie. »Den kann man nicht mehr wegradieren!«
»Wollen wir mal sehen …« Ich ignorierte sie und ging die Fragen durch. »Ein Wort mit vier Buchstaben für einen mediterranen Käse, der oft in griechischem Salat vorkommt.«
»Feta!«, rief sie.
»Ich hab’s!« In großen Buchstaben trug ich eine viel bessere Antwort ein. »B-R-I-E!«
»Nicht doch!« Sie wollte mir das Rätsel entreißen, doch ich war schneller und zog es
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