Weisst du eigentlich, dass du mir das Herz gebrochen hast
Augen gesehen und mich belogen …«
Sie sprachen und schrien durcheinander – zusammenhanglose Wortfetzen, ein unendliches Stimmengewirr, von dem ich kaum etwas verstehen konnte. Ich wanderte zwischen ihnen herum, in der Hoffnung, Patricks Blick oder sein Lächeln zu entdecken. Wieder knirschte und knackte es unter meinen Schuhen, aber diesmal wusste ich, dass ich nicht auf Muscheln trat.
»Patrick?«, rief ich verzweifelt. »Bist du da?«
»Pass auf!«, sagte jemand, als ich ihm mit den Füßen ein wenig zu nahe kam.
»Entschuldigung!« Erschrocken machte ich einen Satz zurück, trat dabei jedoch auf jemand anderen.
»He!«
»Es tut mir so leid, Verzeihung, das war keine Absicht …«
Ich schaute weiter reihum in ihre Gesichter, in der Hoffnung, ihn wiederzuerkennen.
Doch sie sahen alle gleich aus! Ich geriet in Panik und begann, die Schweigenden auf den Rücken zu drehen, um weiter nach einem siebzehnjährigen Jungen zu suchen. »Sie sehen alle exakt gleich aus!«
»Aber wir sind es nicht«, hörte ich eine Mädchenstimme leise murmeln.
Ich hob erschrocken den Kopf und sah mich um. »Hallo?«, rief ich. »Wer bist du?« Ich ging an mehreren Seelen vorbei in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war, bis ich zu einer Gestalt mit einem langen, dünnen schwarzen Zopf kam. Ich kniete mich neben sie und rollte den Körper behutsam auf den Rücken.
Als mich ihre einsamen Augen ansahen, brach ich in Tränen aus.
Larkin.
»Brie.« Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern. »Hätte nicht gedacht, dass ich dich noch einmal wiedersehen würde.«
»Was machst du hier?« Ich bettete ihren Kopf, so gut es ging, in meinem Schoß. »Was ist passiert?«
Sie sah mich an, starr und ohne zu blinzeln, sodass ich für einen Augenblick glaubte, ich hätte mir ihre Stimme nur eingebildet. Doch dann bewegten sich ihre Lippen wieder, und ich hörte, wie sie zu sprechen versuchte.
»Ich konnte nicht wieder allein sein. In der Stadt gab es nichts mehr für mich.«
»Es tut mir so leid«, sagte ich schluchzend. »Ich wollte dich nicht verletzen. Ich wollte das alles nicht.«
»Wirklich?«, fragte sie. »Meinst du das ehrlich?«
Ich strich den Sand von ihrem Gesicht und sah jetzt erst richtig, in welcher Verfassung sie war. Das war nurmehr der Schatten des Mädchens, das von Wolkenkratzern gesprungen war, das mir beigebracht hatte, auf mich aufzupassen, und mir gezeigt hatte, dass ich stärker war, als ich gedacht hatte. Aber nun war fast nichts mehr übrig von Larkin Ramsey. Sie zerfiel vor meinen Augen zu Staub.
»Du wirst wieder in Ordnung kommen«, versuchte ich, sie zu trösten. »Ich werde dich von hier wegbringen.«
»Brie«, flüsterte sie. »Ich habe in jener Nacht das Feuer in meinem Haus gelegt. Wusstest du das?«
Ich starrte sie verwirrt an. »Hör auf, dir Vorwürfe zu machen, Larkin. Jeder weiß, dass es die Kerze war. Es war ein Unfall. Ein schrecklicher Unfall. Das ist alles.«
Sie schüttelte den Kopf. »Es war kein Unfall. Ich war’s. Ich hab es absichtlich gemacht. Ich wollte sterben.«
»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Bitte sag das nicht.«
»Es ist die Wahrheit.« Larkin lächelte traurig. »Ich war immer allein. Ich hab mich immer so allein gefühlt. Also beschloss ich, etwas dagegen zu tun.« Sie stieß ein kleines Lachen aus. »Doch dann stellte sich heraus, dass es auf der anderen Seite noch viel einsamer ist.« Ihre Stimme wurde bitter. »Nur dauert es jetzt nicht ein Leben lang, sondern für immer.« Sie streckte die Hand aus und legte sie auf meine.
»Ganz schön blöd, ich zu sein, was?«
»Aber deine Trauerfeier«, entgegnete ich und erinnerte mich an den Abend in der Aula einige Jahre vor meiner eigenen Trauerfeier. »Da waren so viele Leute – so viele Menschen, denen du etwas bedeutet hast.«
»Denen hab ich gar nichts bedeutet«, entgegnete sie. »Ich war dort. Ich habe ihre schuldbewussten Gesichter gesehen. Die meisten Leute, die zur Trauerfeier kamen, kannten mich kaum.«
Ihre Worte trafen mich hart. Ich erinnerte mich, dass mir bei meiner eigenen Trauerfeier genau dasselbe aufgefallen war. Auch ich hatte viele von denen, die mir an jenem Tag die letzte Ehre erwiesen, kaum gekannt. Und auch ich hatte mich damals gefragt, warum die alle gekommen waren.
Was ich schon durch Jakob begriffen hatte, lehrte mich nun auch Larkin: Egal, wie gut du einen Menschen zu kennen glaubst, egal, wie schön jemand ist oder wie selbstsicher er wirkt oder wie beliebt er zu sein scheint
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