Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
Vom Netzwerk:
saßen eine Weile bei den Soldaten, und einige Jungen fassten bei ihrem Anblick neuen Mut, aber eigentlich war es beunruhigend, dass sie hier waren. Die Männer hatten Gewehre und gehörten zu einer Einheit namens »Die Faust«, was sich für mich sehr stark anhörte. Aber andererseits waren die Männer von der »Faust« halb verhungert, halb tot. Was war das für ein Ort, zu dem wir gingen, wenn erwachsene Männer mit Gewehren von dort wiederkamen und auf ihrem Rückweg in den Sudan verhungerten?
    Der tote Soldat verunsicherte mich mehr als all die toten Jungen, die wir unterwegs gesehen hatten, und als mein Glaube an unser Ziel ins Wanken geriet, wurden meine Schritte schleppend und langsam.
    In dem Spiegel, der William K für mich war, sah ich an jenem Tag nicht gut aus. Meine Wangen waren eingefallen, meine Augen blau umrandet. Meine Zunge war weiß, meine Hüftknochen durch die Shorts zu sehen. Meine Kehle fühlte sich an wie mit Holz und Gras ausgekleidet. Schon der Versuch zu schlucken war ungemein schmerzhaft. Viele Jungen hielten die Hand an die Kehle und versuchten, etwas Feuchtigkeit hineinzumassieren. Ich war still, und wir gingen weiter. Der Nachmittag verging furchtbar langsam. Wir konnten nicht annähernd das Tempo halten, das wir zu Beginn unseres Marsches vorgelegt hatten. Wir kamen so schlecht voran. An diesem Tag bat William K oft darum, stehen zu bleiben.
    – Nur kurz anhalten und einen Moment stehen, sagte er.
    Und dann blieben wir stehen, und William lehnte sich an mich, legte eine Hand auf meine Schulter. Er holte dreimal tief Luft und sagte dann stets, jetzt könne er wieder. Wir wollten nicht hinter die anderen zurückfallen.
    – Ich fühl mich so schwer, Achak. Fühlst du dich auch so schwer?
    – Ja. Ja, William K. Wir alle.
    Der Nachmittag wurde kühler, und die Luft war leichter zu atmen. Von vorne wurde zu uns weitergetragen, dass irgendjemand den Kadaver eines Dikdiks gefunden hatte. Sie hatten die Geier verscheucht und suchten jetzt die Knochen nach essbarem Fleisch ab.
    – Ich muss mich noch mal ausruhen, flüsterte William K. – Wir sollten uns einen Moment setzen.
    Ich fand nicht, dass wir uns setzen sollten, aber William K war schon auf dem Weg zu einem Baum, und gleich darauf saß er darunter, den Kopf an den Stamm gelegt.
    – Wir müssen weiter, sagte ich.
    William K schloss die Augen. – Wir müssen uns ausruhen. Ruh dich mit mir aus, Achak.
    – Sie haben ein Dikdik gefunden.
    – Das klingt gut.
    Er sah zu mir hoch und lächelte.
    – Wir müssen etwas von dem Fleisch abbekommen. Das ist im Handumdrehen weg, William.
    Ich sah, wie William Ks Augen flatterten, seine Augenlider langsam herabsanken.
    – Gleich, sagte er. – Aber setz dich kurz. Das tut mir gut. Bitte.
    Ich stand vor ihm, spendete ihm Schatten, gönnte ihm ein paar Augenblicke Frieden, und dann sagte ich, es sei Zeit weiterzugehen.
    – Noch nicht, sagte er.
    – Dann ist das Fleisch bestimmt weg.
    – Hol du etwas. Kannst du was holen und es mir bringen?
    Gott vergebe mir, ich dachte, das sei eine gute Idee.
    – Ich bin gleich wieder da, sagte ich.
    – Gut, sagte er.
    – Halt die Augen geöffnet, sagte ich.
    – Okay, sagte er. Er sah zu mir hoch und nickte. – Ich brauche das. Ich merke, dass es mir guttut.
    Seine Augen schlossen sich langsam, und ich rannte, um unseren Anteil an dem Tier zu holen. Während ich fort war, fiel das Leben aus William K heraus, und sein Fleisch kehrte zur Erde zurück.
    Es war jetzt leichter zu sterben. Bei Deng hatte noch eine Nacht gelegen zwischen dem lebenden Deng und dem dahingegangenen Deng. Ich hatte angenommen, dass das Sterben stets in den vielen Stunden, die es dunkel war, geschah. Aber William K hatte etwas anderes gemacht. Er hatte nur aufgehört zu gehen, sich unter einen Baum gesetzt, die Augen geschlossen und war gestorben. Ich war mit einem fingergroßen Stück Fleisch zurückgekommen, um es mit ihm zu teilen, und sein Körper war schon erkaltet.
    Ich hatte William K gekannt, seit er ein Baby war und ich ein Baby war. Unsere Mütter hatten uns als Säuglinge in dasselbe Bett gelegt. Wir kannten einander, als wir Laufen und Sprechen lernten. Ich konnte mich an kaum einen Tag in jener Zeit erinnern, an dem wir nicht zusammen gewesen waren, an dem ich nicht mit William K herumgelaufen war. Wir waren einfach nur Freunde, die im gleichen Dorf lebten und davon ausgingen, für alle Zeit Jungen und Freunde und in diesem Dorf zu bleiben. Doch in den vergangenen

Weitere Kostenlose Bücher