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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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ich wieder bei ihr sein könnte. Ich wollte nicht im Tod auf sie warten müssen.
    Es war ein Geräusch, als würde ein Luftballon platzen. Dann ein Schrei. Ich ging nicht nachschauen. Ich wollte es nicht sehen. Ich wusste, dass die Jungen eine Mine gefunden hatten. Dann folgten Geräusche von vielen laufenden Menschen, denjenigen, die den Jungen helfen wollten. Es stellte sich heraus, dass ein Junge ein Bein verloren hatte, zwei andere waren getötet worden. Es waren die Jungen, mit denen ich hatte mitgehen wollen. Der Junge, der sein Bein verloren hatte, starb noch am selben Abend. Es gab keine Ärzte in Gumuro.
    Manche Jungen ruhten sich aus, aber ich beschloss, nicht zu schlafen. Ich würde meine Augen nicht schließen, bis wir Äthiopien erreicht hatten. Ich hatte nicht das Gefühl zu leben, und ich war ganz sicher, dass auch ich bald sterben würde. Ich hatte die Eier in dem Baum gegessen und die Nüsse bei dem Fahrradmann, und damit hatte ich mehr gegessen als manch anderer Junge, aber die Wunde an meinem Bein wollte nicht heilen, und jede Nacht spürte ich, wie die Insekten ihre Tiefen erkundeten. Wenn wir gingen, sah ich verschwommen die Jungen vor mir, und wenn ich ihre Stimmen hörte, ergaben sie für mich keinen Sinn mehr. Meine Ohren waren entzündet, meine Augen unzuverlässig. Ich war ein sehr guter Kandidat, um als Nächster dranzukommen.
    Nachdem die Soldaten Dut geholfen hatten, die toten Jungen wegzubringen, sah mich einer der Soldaten unter dem Lastwagen und ging vor mir in die Hocke. Der Regen hatte nachgelassen.
    – Komm her, Rote Armee, sagte er.
    Ich rührte mich nicht. Eigentlich bin ich von Natur aus nicht so unhöflich, aber in dem Moment war mir der Soldat oder was er von mir wollte völlig egal. Ich wollte nicht dabei helfen, Leichen zu begraben oder wozu er mich auch sonst brauchte.
    – Das ist ein Befehl, rote Armee!, blaffte er.
    – Ich bin nicht in eurer Arme, sagte ich.
    Sein Arm war schnell und sein Griff fest. Mit einer raschen Bewegung hatte er mich unter dem Laster hervorgezogen und auf die Beine gestellt.
    – Du gehörst nicht zu uns? Zu unserem Kampf?, fragte er. Jetzt sah ich, dass es der Soldat namens Tito war. Sein Gesicht war stark vernarbt, seine gelben Augen rot gerändert.
    Ich schüttelte den Kopf. Ich gehörte zu niemandem, beschloss ich. Ich gehörte nicht einmal zu den Jungen meiner Gruppe. Ich wollte zurück zu dem Mann mit dem Fahrrad, zu seinen Orangen und dem kühlen Wasser, das er in seiner Hütte versteckt hielt.
    – Dann willst du einfach hier sterben?, wollte Tito wissen.
    – Ja, sagte ich. Und ich schämte mich nicht für meine Dreistigkeit.
    Tito packte mich grob am Arm und führte mich quer durchs Dorf zu einer Pyramide aus Feuerholz, hinter der die Beine eines Mannes hervorragten. Der übrige Körper war unter Blättern verborgen. Seine Füße waren rosa, schwarz, weiß, von Maden bedeckt.
    – Siehst du den Mann da?
    Ich nickte.
    – Das ist ein toter Mann. Er war ein Mann wie ich, ein Mann in meinem Alter. Ein großer Mann. Stark, gesund. Er hat einen Hubschrauber abgeschossen. Kannst du dir das vorstellen, Rote Armee, ein Dinka, der einen Hubschrauber abschießt? Ich war dabei. Es war ein großer Tag. Aber jetzt ist er tot, und warum? Weil er beschlossen hatte, nicht mehr stark zu sein. Willst du so sein wie dieser Tote?
    Ich war so müde, dass ich überhaupt nicht reagierte.
    – Willst du das einfach hinnehmen?, schrie er.
    – Alle sterben, sagte ich. – Auf dem Weg hierher sind wir an toten Soldaten vorbeigekommen.
    Das schien Tito zu überraschen. Er wollte wissen, wo wir die Soldaten gesehen hatten und wie viele es gewesen waren. Als ich es ihm sagte, ging eine Veränderung mit ihm vor. Er erkannte, dass seine Truppe nicht als Einzige allein in der Wüste festsaß, im Krieg vergessen worden war. Diese Neuigkeit gab Tito Kraft, glaube ich. Und als ich ihn zurück zu dem Bus laufen sah, um es seinen Kameraden zu erzählen, fühlte auch ich mich stärker. Mir ist klar, dass das nicht rational war.
    Am frühen Abend, das Blau des Himmels wich einem tiefen Schwarz, wollten wir uns gerade schlafen legen, als eine Gestalt am Horizont auftauchte. Dut sah sie, ging zum Rand des Dorfes und spähte mit zusammengekniffenen Augen in die Ferne. Aus der Gestalt wurde ein Junge.
    – Ist das einer von uns?, fragte Dut.
    Keiner antwortete. Tito schlief im Schatten des Panzers.
    – Kur, könnte das einer von uns sein?, fragte Dut.
    Kur zuckte die

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