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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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Sonne zu schlafen lockte unweigerlich geflügelte Aasfresser an, und wir mussten aufpassen, dass sie uns nicht fraßen, solange wir noch lebten.
    Genau an dem Tag, an dem ich den Vogel verscheucht hatte, der mich hatte fressen wollen, begann William K, sich zu verändern. In seinem Gesicht tauchten Male auf, kreisrunde Flecken, die heller waren als seine Haut. Er klagte über Krämpfe und Schwindel, aber andererseits litt ich selbst auch unter Krämpfen und Schwindel. William K sprach noch immer, und weil er noch immer sprach, dachte ich, er sei so stark wie wir anderen.
    – Sieh mal, sagte William K.
    Ich blickte an William Ks ausgestrecktem Finger entlang auf einen dunklen Klumpen weiter vorne. Ein Geier löste sich davon, als wir näherkamen. Es war der Körper eines Jungen, ein wenig älter als wir.
    – Dumm, sagte William K.
    Ich sagte ihm, er solle nicht so über die Toten reden.
    – Aber es ist doch dumm! So weit zu kommen und hier zu sterben.
    Entlang dem Pfad lagen jetzt überall Leichen. Jungen, Babys, Frauen, Männer. Nach jeder Meile sahen wir wieder Leichen, von Jungen und Männern, unter Bäumen, gleich neben dem Weg. Schon bald sahen wir auch Leichen in SPLA-Uniform.
    – Wie kann ein Soldat so sterben?, wollte William K von Dut wissen.
    – Er war mit seinem Trinkwasser unvorsichtig, sagte Dut.
    – Wie nah sind wir, Dut?
    – Wir sind bald da. Wir sind nah dran, nah dran zu sein.
    – Gut, gut. Das Wort nah ist ein gutes Wort.
    An jenem Tag durchquerten wir das trostloseste Land, das wir bis dahin gesehen hatten, und die Hitze stieg rapide an. Am späten Vormittag wurde die Luft zu etwas, das Haut oder Haare zu haben schien. Die Sonne war unser Feind. Doch die ganze Zeit über wurden meine eigenen Träume vom Reichtum Äthiopiens immer lebendiger und klarer. In Äthiopien würde ich ein eigenes Bett haben, so ein Bett, wie es der Häuptling von Marial Bai hatte, mit Stroh ausgestopft und einem Gazellenfell als Decke. In Äthiopien würde es Krankenhäuser geben und Märkte, wo es alles zu essen gab. Zitronenbonbons! Wir würden gepflegt, bis wir wieder unser altes Gewicht hatten, und wir würden nicht jeden Tag marschieren müssen. An manchen Tagen würden wir überhaupt nichts tun müssen. Stühle! In Äthiopien würden wir Stühle haben. Ich würde auf einem Stuhl sitzen, und ich würde Radio hören, weil es in Äthiopien unter allen Bäumen Radios gab. Milch und Eier – davon würde es reichlich geben und jede Menge Fleisch und Nüsse und Suppe. Es würde sauberes Wasser geben, in dem wir baden würden, und jedes Haus hätte einen Brunnen, voll mit kaltem Trinkwasser. Schönes kaltes Wasser! Wir würden ein bisschen abwarten müssen, ehe wir es tranken, weil es so kalt war. Ich würde eine neue Familie in Äthiopien haben, mit einer Mutter und einem Vater, die mich bei sich aufnehmen und mich Sohn nennen würden.
    Weiter vorne sahen wir eine Gruppe Männer im Schatten eines kleinen Wüstendattelbaums sitzen. Es waren elf Männer, die in zwei Kreisen saßen, einer im anderen. Als wir näher kamen, sahen wir, dass zwei der Männer sehr krank waren. Einer sah tot aus.
    – Ist er tot?, fragte William K.
    Der Mann, der William K am nächsten war, stürzte sich auf ihn und schlug ihm mit seinem knochigen Handrücken gegen die Brust.
    – Das bist du auch bald, wenn du nicht weitergehst!
    Die gelblichen Augen des Mannes flackerten vor Zorn. Die anderen Soldaten achteten gar nicht auf uns.
    – Was ist denn mit ihm passiert?, fragte William K.
    – Verschwinde, murmelte der Soldat.
    William gab nicht auf. – Ist er erschossen worden?
    Der Mann starrte ihn wütend an. – Wo bleibt dein Respekt, du undankbarer Wurm? Wir kämpfen für euch.
    – Ich bin doch dankbar, protestierte William K.
    Der Mann schnaubte.
    – Bitte glaube mir, sagte William K.
    Der Mann blickte milder, und nach einem Moment glaubte er William K, dass er aufrichtig zu ihm war.
    – Woher kommst du, Rote Armee?, fragte er.
    – Marial Bai.
    Das Gesicht des Mannes entspannte sich.
    – Ich bin aus Chak Chak! Wie heißt du?
    – William Kenyang.
    – Aha, dachte mir schon, dass ich deinen Clan kenne. Ich kenne einen Thiit Kenyang Kon. Das müsste dein Onkel sein.
    – Er ist mein Onkel. Hast du ihn gesehen?
    – Nein, nein. Ich wünschte, ich hätte Neuigkeiten für dich, aber ich bin schon länger fort als du. Ihr habt es jetzt nicht mehr weit. Noch ein paar Tage, dann seid ihr in Äthiopien. Wir kommen gerade von dort.
    Wir

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