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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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Gelegenheit, einen solchen Mann zu heiraten, ungeheuer verlockend wirkt. Aber es gibt Hindernisse. Noch vor zehn Jahren wäre es unvorstellbar gewesen, dass eine Frau darauf bestehen könnte, das Bild eines potenziellen Bräutigams zu sehen. Die Frauen begutachten die Männer!
    So ist es heute, und ich finde das zum Schreien komisch. Gabriel, der ein sehr anständiger Mann ist, aber nicht im herkömmlichen Sinne gut aussehend, verlor zwei seiner potenziellen Bräute, sobald sein Foto im Internet zu sehen war. Die übrig gebliebenen beiden Frauen, beide achtzehn Jahre alt und miteinander befreundet, zeigten sich geneigt, Gabriel zu heiraten, obwohl weder sie noch ihre Familien ihn kannten. Von da an ging es um den Brautpreis. Eine der Frauen, sie hieß Julia, lebte mit zirka fünfzehn Angehörigen zusammen, und sie war recht attraktiv – groß, gute Figur, mit einem langen Hals und sehr großen Augen. Ihr Vater war in Nuba durch eine Granate umgekommen, aber ihre Onkel machten sich mit großem Vergnügen daran, den Brautpreis auszuhandeln, denn sie selbst würden die Nutznießer sein. Nach sudanesischer Sitte kann eine Frau keine Mitgift erhalten, und wenn ihr Vater verstorben ist, gehen die als Brautpreis vereinbarten Tiere an die Onkel.
    Julias Onkel-Konsortium wusste schon lange, dass es eine Schönheit zu vergeben hatte, und erwartete einen sehr hohen Preis für sie. Das erste Angebot war eines der höchsten, von denen man in Kakuma je gehört hatte: zweihundertvierzig Kühe, umgerechnet etwa 20 000 Dollar. Man kann sich vorstellen, dass ein Mann wie Gabriel, der in einer Abfüllfabrik 9,90 Dollar verdient, schon von Glück sagen kann, wenn er in zwei Jahren 500 Dollar beiseitegelegt hat. Also wartete Gabriel auf den Preis für die Braut zweiter Wahl, eine liebenswerte junge Frau, die nicht ganz so hinreißend aussah. Sie war kleiner als ihre Rivalin, weniger stattlich, aber sehr gefällig, und ihr wurde nachgesagt, dass sie viele hausfrauliche Qualitäten und einen angenehmen Charakter besaß. Sie lebte mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater zusammen, und deren Forderung war vernünftiger: einhundertvierzig Kühe, also rund 13 000 Dollar.
    Nun geriet Gabriel ins Grübeln. Auch diesen Preis konnte er nicht bezahlen, aber es kommt so gut wie nie vor, dass ein Mann den Brautpreis allein aufbringen muss. Das ist eine Familienangelegenheit, an der sich viele Onkel, Vetter und Freunde beteiligen. Gabriel wandte sich an seine Verwandten und Freunde in den Vereinigten Staaten und in Kakuma, mit dem Ergebnis, dass er insgesamt einhundert Kühe würde finanzieren können, ungefähr 9 000 Dollar. Nachdem er sich für die preiswertere Braut entschieden hatte, ließ er der Familie des Mädchens in Kakuma über Mittelsmänner sein Angebot überbringen. Es wurde abgelehnt, ohne Gegenangebot. Er würde die restlichen vierzig Kühe irgendwie aufbringen müssen, sonst hätte er gar keine Braut mehr zur Auswahl. Jetzt fiel ihm nur noch ein einziger Mensch ein, der ihm helfen konnte – ein wohlhabender Onkel, der noch immer im Sudan lebte. Gabriel rief über Satellit in Rumbek an, einem großen Dorf, einen Tagesmarsch von dem kleinen Dorf entfernt, in dem besagter Onkel lebte. Die Nachricht wurde an den Onkel weitergeleitet: »Ich bin es, Gabriel, Agutos Sohn, und ich möchte eine junge Frau aus Kakuma heiraten. Hilfst du mir? Kannst du vierzig Kühe aufbringen?« Der Onkel erhielt die Nachricht, zwei Tage nachdem sie in Rumbek angekommen war. Wiederum drei Tage später traf die Antwort in Rumbek ein, und Gabriel wurde in Atlanta angerufen: Die Antwort lautete ja. Der reiche Onkel würde die Kühe gern beschaffen, und ob Gabriel eigentlich wisse, dass sein Onkel kürzlich als Distriktvertreter ins Parlament berufen worden war?
    Man wurde sich einig, und jetzt musste Gabriel nur noch Folgendes tun: den Viehpreis in kenianische Shilling umrechnen; die Transaktion abschließen; einen Flug nach Nairobi buchen und von dort aus nach Kakuma kommen, ein Visum und die Reiseerlaubnis nach Kenia beschaffen, was drei Monate dauern konnte, in Kakuma angekommen, seine Braut und ihre Familie kennenlernen, alle seine Verwandten in Kakuma besuchen und jedem von ihnen Geld, Geschenke, Essen, Schmuck, Schuhe, Uhren, iPods, Jeans aus Amerika mitbringen; eine Hochzeit arrangieren, noch in Kakuma heiraten (die Zeremonie würde in der lutherischen Kirche unter einem Blechdach stattfinden), nach Atlanta zurückkehren und die nötigen Schritte einleiten,

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