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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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untersucht. Aber die Stimmung ist ähnlich, und von nun an werden immer häufiger Hochzeiten stattfinden. Bald werden die ersten Lost Boys ihre Staatsbürgerschaft erhalten, und von da an werden die Bräute aus Kakuma und aus dem Sudan nur so herübergeströmt kommen, und die sudanesische Bevölkerung in Amerika wird sich schnell verdoppeln und dann noch einmal verdoppeln. Die meisten Männer sind bereit, eine Familie zu gründen, und ihre neuen Frauen werden sich nicht dagegen sperren.
    Achor Achor wird erneut angerufen und begrüßt eine Reihe von Lost Boys, die ich kenne. Ich habe kein Verlangen, mit ihnen zu reden. Über Hochzeiten zu reden erinnert mich an Tabitha und die Hochzeit, die wir hätten haben können, und daran möchte ich an dem Tag, an dem ich geschlagen und ausgeraubt wurde, lieber nicht denken.
    Es ist sechs Uhr, Julian. Wir warten jetzt schon zwei Stunden in diesem Raum. Der Schmerz in meinem Kopf hat nicht nachgelassen, ist aber weniger stechend als zuvor. Ich habe Hilfe von dir erwartet, Julian. Nicht weil du afrikanischer Abstammung bist, sondern weil es in diesem Krankenhaus sehr ruhig ist und die Notaufnahme fast frei von Patienten und ich ein einzelner Mann bin, der mit, wie ich hoffe, harmlosen Verletzungen in deinem Wartezimmer sitzt. Es sollte doch ein Leichtes sein, mir zu helfen und mich dann nach Hause zu schicken. Ich kann mir nicht vorstellen, warum du möchtest, dass ich hier sitze und dich anstarre.
    »Jetzt hat es keinen Sinn mehr, noch zur Arbeit zu fahren«, sagt Achor Achor.
    »Es tut mir leid«, sage ich.
    »Ist schon okay.«
    »Sollten wir nicht Lino anrufen? Wir wollten uns heute Abend treffen.«
    Wir einigen uns darauf, Lino und nur Lino anzurufen. Achor Achor tut es, und ehe er Lino verrät, wo ich bin, nimmt er ihm das Versprechen ab, dass er unseren derzeitigen Aufenthaltsort geheim hält.
    »Er kommt her«, sagt Achor Achor. »Er leiht sich ein Auto.«
    Ich verstehe nicht, warum er herkommen will, ehrlich nicht, weil ich doch bestimmt jeden Moment aufgerufen werde, und Lino wohnt zwanzig Autominuten vom Krankenhaus entfernt. Und außerdem, sage ich zu Achor Achor, wird Lino sich garantiert verfahren, weshalb er doppelt so lange braucht. Aber in dem unwahrscheinlichen Fall, dass wir doch länger warten müssen, wird Linos Anwesenheit den Raum beleben. Er hat angefangen, sich mit Frauen zu verabreden, die er über eHarmony.com kennengelernt hat, und er hat einige Geschichten auf Lager. Die Geschichten von seinen Verabredungen, die alle erfolglos blieben, sind ausnahmslos unterhaltsam, doch schnell wird das Gespräch wieder auf Hochzeiten kommen und dann auf Linos Pläne, nach Kakuma zurückzukehren, um sich dort eine Frau zu suchen. Lino steht kurz davor, eine solche Reise zu unternehmen, und seine Hoffnungen sind groß, obwohl das Vorhaben langwierig ist und erschreckend viel kostet.
    Linos ewig grinsender Bruder Gabriel hat kürzlich eine solche Reise unternommen. Es war nicht leicht. Gabriel kam 2000 in die USA, besuchte ein Jahr lang die Highschool und arbeitet jetzt in einem Abfüllbetrieb außerhalb von Atlanta. Letztes Jahr beschloss er, dass er eine Frau haben wollte. Er entschied sich dafür, sich seine Braut in Kakuma zu suchen, eine Alternative, die bei Sudanesen in Amerika immer beliebter wird. Durch Bekannte, die noch immer im Camp waren – er hat einen Onkel, ehemals SPLA –, ließ er seine Heiratsabsichten verbreiten. Sein Onkel begann, sich für ihn umzuschauen, und schickte ihm in regelmäßigen Abständen Bilder übers Internet. Manche der Frauen waren Gabriel bekannt, manche nicht. Gabriel wollte gern eine Frau aus seiner eigenen Heimatregion, dem Obernil, aber von dort kamen nicht viele, wie sein Onkel vermeldete. Schon bald grenzte Gabriel die Auswahl auf vier Frauen ein, die zwischen siebzehn und zweiundzwanzig Jahren alt waren. Keine von ihnen ging zur Schule; alle arbeiteten bei Verwandten in Kakuma im Haushalt. Und alle hätten sofort die Chance ergriffen, als Frau eines Lost Boy in die Vereinigten Staaten zu gehen.
    Die Sudanesen in Amerika gelten in Kakuma als Berühmtheiten, und es wird angenommen, dass sie unsäglich reich sind. Und relativ gesehen sind wir tatsächlich wohlhabend. Wir haben warme und saubere Wohnungen, und wir besitzen Fernseher und tragbare CD-Player. Die Tatsache, dass die meisten Lost Boys inzwischen ein Auto besitzen, ist für die in Kakuma Gebliebenen schier unfassbar, daher ist leicht nachzuvollziehen, dass die

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